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Landesjournal Niedersachsen Januar 2010 - RÜCKSCHAU 29. ORDENTLICHER LANDESDELEGIERTENTAG: Landesbischöfin im Schulterschluss mit Polizei

Mit stehende Ovationen quittierten die Delegierten und Gäste eine launige und zugleich bedeutsame und tiefgründige Botschaft beim Landesdelegiertentag.


Der stellvertretende Landesvorsitzende Dietmar Schilff gab nach einer musikalischen Einleitung des PMK den Begrüßungsauftakt zum offiziellen Teil des Delegiertentages am 20. November 2009, dem Folgetag nach den Wahlen und der Antragsberatung, über die wir bereits berichteten[1]. Er begrüßte zahlreiche Ehrengäste namentlich.


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Gäste der GdP:
  • Erster Bürgermeister der Landeshauptstadt Hannover, Bernd Strauch  
  • Dr. Margot Käßmann, Landesbischöfin Hannover, EKD-Ratsvorsitzende
  • Uwe Schünemann, Minister für Inneres, Sport und Integration

Vertretungen aus den Landtagsfraktionen:
  • Heinz Rolfes, CDU
  • Klaus-Peter Bachmann, SPD
  • Jutta Rübke, SPD
  • Wolfgang Jüttner, SPD
  • Johanne Modder SPD
  • Ralf Briese, Bündnis 90/Die Grünen

Aus der Polizei:
  • Uwe Binias, PP Hannover
  • Friedrich Niehörster, PP Lüneburg
  • Rolf Sprinkmann, PP Osnabrück
  • Hans-Jürgen Thurau, PP OL 
  • Dr. Grahl, PP der ZPD
  • Hans Wargel, PP Göttingen
  • Harry Döring, PP Braunschweig
  • Uwe Kolmey, Dir. LKA
  • Johannes-Jürgen Kaul, Dir. PA
  • die Polizeivizepräsidenten

Weitere Gewerkschaftliche Funktionsträger:
  • Konrad Freiberg, GdP-Bundesvorsitzender
  • Hartmut Tölle, DGB-Bezirksvorsitzender Niedersachsen - Bremen - Sachsen-Anhalt
  • Heinz Kiefer, Präsident von EuroCop
  • Helmut Bläsche, ehem. GdP- Landesbezirksvorsitzender

GdP-Landesvorsitzende:
  • Uwe Petermann,  (ST)
  • Frank Richter (NRW)
  • Jörg Bruchmüller (HE)
  • Josef Scheuring (Bez. Bundespolizei)
 
 
Im seinem Grußwort schilderte der Erste Bürgermeister der Landeshauptstadt Hannover, Bernd Strauch, seine Beobachtung zur heutigen Situation der Polizei in Hannover und deutete im Hinblick auf die Sicherheitslage auf die allzu häufig anzutreffende Respektlosigkeit gegenüber der Polizei hin.

Tölle: „Sozialsysteme enorm gefährdet“

Hartmut Tölle, DGB-Bezirksvorsitzende Nds. erklärte, dass Werte und Normen in unserer Gesellschaft eine wichtige Basis darstelle. Den Älteren komme die Rolle zu, diese immer aufs Neue weiter zu geben. Der Staat habe die Aufgabe, für Rahmenbedingungen für diese Rechte zu sorgen. Das Finanzsystem habe dazu geführt, dass einige Wenige mit ihrer skrupelloser Bereicherungsabsicht Millionen in den Ruin und ganze Volkswirtschaften aus dem Gleichgewicht gebracht hätten. Damit hätten sie die Rechte und die Menschenwürde Vieler mit Füßen getreten. Den staatlichen Garantien für systemrelevante Banken und dem hohen Schuldenberg der öffentlichen Hand stünde nun ein Finanzloch für öffentliche Aufgaben gegenüber. Die Einkommen der Arbeitnehmer gerieten unter Druck, die Sozialsysteme seien enorm gefährdet, die öffentliche Daseinsvorsorge werde mit der Abrissbirne saniert, für Ausbildung unserer Kinder gebe es zu wenig Geld, Altersarmut sei auf dem Vormarsch. Leben in Sicherheit bedeute auch soziale Sicherheit und Arbeitsplätze sowie gerechte Einkommen, ein soziales Netz auch für die Schwächeren. „Der Tanz ums goldene Kalb aber geht weiter,“ so Tölle.

Tölle dankte der Polizei für ihren Einsatz für die innere Sicherheit und forderte null Tolleranz gegen die zunehmenden Gewalttätigkeiten gegen Polizisten sowie rechtsextremistische Aktivitäten.

Freiberg: „Öffentlicher Dienst in Deutschland mit 15% im Vergleich eher klein“

Der GdP-Bundesvorsitzende Konrad Freiberg knüpfte an die Wirtschaftslage an und schilderte die noch zu erwartenden Probleme: „Die Titanic ist auf dem Kurs gegen den Eisberg.“ Auch die Bundeskanzlerin habe im Gespräch mit den DGB-Gewerkschaften ihre Sorge vor sozialer Unruhe zum Ausdruck gebracht. Ihn treibe die Sorge um, dass der öffentliche Dienst wieder Leidtragender sein wird. Dieser sei allerdings nicht - wie oft behauptet - in Deutschland aufgebläht. Mit unter 15% Anteil an der Gesamtbeschäftigung sei er im internationalen Vergleich eher klein, Schweden und Dänemark weisen dagegen 30 bis 35%, viele andere Länder zwischen 17 und 30 % auf. Statt vom „schlanken Staat“ könne man eher von Bulimie sprechen. Die beabsichtigten Steuersenkungen gepaart mit der Neuverschuldung des Staates und der einzuhaltenden Schuldenbremse werde zu drastischen Einsparungen im öffentlichen Dienst führen, die noch über die heutigen 10 bis 15% hinaus gehen werden. Die Zeche dafür würden wieder die ÖD-Beschäftigten zahlen, so der GdP-Chef. Er zitierte Papst Benedikt: „Eine Gesellschaft, die sich nicht durch Gerechtigkeit definiert, ist nichts anderes als eine Räuberbande.“[2] Die Verursacher der Misere müssten herangezogen werden. Die Gewerkschaften würden dies jedenfalls nicht tatenlos hinnehmen. Koll. Freiberg problematisierte die zunehmende Gewalt gegen Polizisten und die ablehnende Haltung der Jugend ggü. dem Staat.

Unmotivierte Gewalteskalationen wie die 470 verletzten Polizisten beim 1. Mai-Einsatz in Berlin sowie bei Fußballspielen seien inzwischen trauriger Alltag.

Statistische Zahlen zu verkünden, reiche hier nicht, vielmehr müsse die zu begrüßende Studie der IMK „Gewalt gegen Polizeibeamte“ auch Konsequenzen haben.

Mit einer fulminanten Rede überraschte Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann. Für ihr Impulsreferat zum Veranstaltungsmotto „Gemeinsam für ein sicheres Leben“ wurde  sie am Ende mit stehenden Ovationen bedacht. Sie verstand es, den Bogen vom Anspruch an die innere Sicherheit und an den Rechtsstaat über Solidarität hin zur Menschlichkeit und Nächstenliebe zu spannen. Bereits der einleitende Satz war gewinnend und gab einen Einblick in die Antworten auf eine spannende Frage: die nach dem Grund für diese Begegnung. „Gestern Abend hat mir einer gesagt, wenn die Polizei schon eine Bischöfin einlädt, muss es ihr wirklich schlecht gehen.“ Nach der spontanen Heiterkeit im Saal erläuterte die Landesbischöfin, die seit Oktober 2009 auch Ratspräsidentin der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, dass es mehr Schnittpunkte zwischen Polizei und Kirche gebe, als man glaubt. Beispielhaft nannte sie die Notfallseelsorge, bezog sich aber auch auf den Leitantrag zum sicheren Leben und zur sozialen Gerechtigkeit, den der Landesdelegiertentag tags zuvor beschlossen hatte. Hier stimmte sie zu, dass alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenarbeiten müssten, um diese Ziele zu erreichen. Wichtig sei die Zivilcourage, ohne die die Freiheit nicht weit reiche. Und wichtig sei auch der Gemeinschaftsgedanke. Sicherheit sei ein Ideal, absolute Sicherheit gebe es aber nicht.

Augen zwinkernd machte sie klar, dass in ihrem Grußwort ab und zu auch die Bibel zu Wort kommen werde –„das haben sie sich selbst eingebrockt.“ Die Bibel sei ein wichtiger Bildungsstandard, der erstmals in Deutschland zu einer Übersetzung in eine Volkssprache durch Martin Luther gelangt sei, damit jeder selbst lesen und sein Gewissen schärfen könne. Damit sei auch ein enormer kultureller Standard einer gemeinsamen deutschen Sprache geschaffen worden. In ihrer Botschaft stellte Käßmann zum Thema Gewalt den nötigen Prozess zur Versöhnung heraus. Dazu sei wichtig, dass die Opfer gehört werden müssten, während der Täter Schuld bekennen und mit der Schuld leben müsse. Opfer kämen jedoch zu selten zu Wort. Auch die Reintegration von Tätern sei eine enorme Herausforderung.

Sie sehe in der Gewaltfreiheit eine für die Gesellschaft entscheidende Bedeutung. Die Kirche müsse immer zur Gewaltfreiheit aufrufen. Ein Wertebezug – wie bei den zehn Geboten - sei für eine Wertegemeinschaft grundlegend und stelle ein „Geländer“ dar.
Sie warb dafür, Verantwortung zu übernehmen, denn ein Grundgebot sei, auch für andere einzustehen, das gelte für die gesamte Gesellschaft. Dies sei schließlich auch der Maßstab für Gerechtigkeit.

„Die Bibel misst Gerechtigkeit daran, wie es dem Schwächsten im Lande geht, “

so die Landesbischöfin. „Deshalb werden wir für die Schwächsten, die Opfer, für die am Rande eintreten müssen.“
Zentraler ethischer Wert sei auch die Würde eines jeden Menschen. Bildung und ethische Werte müssten Orientierung geben. Obwohl Menschen nicht perfekt seien, seien sie immer auch Vorbild – besonders auch Eltern, Lehrer, Polizisten. Daher sei ein „klares Geländer“ vonnöten, zu dem auch Zivilcourage gehöre.

Ein leidenschaftliches Plädoyer hielt sie auch gegen rechtsextremes Gedankengut, Fremdenhass, Fremdenfeindlichkeit und antijüdische Ideologien. Dem Innenminister des Landes, Uwe Schünemann, zugewandt, sagte die Landesbischöfin, sie habe kein Verständnis, dass ein Verbot solcher Parteien nicht möglich sein soll, dass diese etwa auch im Congress Center tagen dürften und „Sie, die Polizei, diese Umzüge schützen müssen“. „Gerechtigkeit erhöht ein Volk“, dieser Grundsatz gelte auch hier. Die Kirche werde dem Rechtsextremismus entgegenstehen, gerade weil sie in Zeiten des Nationalsozialismus nicht genug dagegen getan habe. Deshalb habe sich die Kirche auch selbst angeklagt, damals nicht mutiger gewesen zu sein.

Gegen Rechtsextremismus

Die Landesbischöfin hob auch hervor, wie wichtig Freiheit in Verantwortung sei, das heiße sie sei begrenzt dort, wo die Rechte anderer anfingen.

Auch in der politischen Auseinandersetzung um Gorleben sei Gewalt gegen Polizisten das falsche Mittel. Sie sei froh, dass sich Diakone als Konfliktmanager/Mediatoren haben ausbilden lassen.
Als ein Tabuthema bezeichnete die Landesbischöfin Kinderpornografie. Hier sei der Begriff der Freiheit des Einzelnen falsch verstanden, wenn die Würde eines Kindes verletzt ist. Kinder müssten erfahren und lernen, gewaltfrei zu agieren. Kinder, die Opfer von Gewalt würden,würden dagegen unter der zwei- bis dreifachen Wahrscheinlichkeit leiden, selbst gewalttätig zu werden und schlechtere Lebensbedingungen zu erfahren. Hier sei es auch sinnvoll, präventive Programme von Kirche und Polizei gemeinsam zu betreiben und zudem vorschulische und schulische Angebote zu verbessern sowie Gewalt in Medien offen in Frage zu stellen. Auch ein starkes bis gewalttätiges Rollenklischee des Mannes sei insofern fragwürdig und für die Gesellschaft problematisch.
Gesellschaft müsse auch die Würde der Senioren wahren. Menschen müssten in Würde alt werden und auch in Würde sterben können.

Zivilcourage in der Gesellschaft brauche Rückgrat. Frau Käßmann dankte ausdrücklich den Polizisten dafür, dass diese Rückgrat zeigten. Denn Meinungsfreiheit müsse verteidigt werden, gerade auch, wenn es eine andere sei. Sie sei froh in einem Land zu leben, in dem man keine Angst vor Polizei haben müsse, sondern sich der Polizei anvertrauen könne. Sie befürworte das Prinzip des Gewaltmonopols des Staates, der verhindere, dass es ein Recht zur Selbstjustiz oder „Ehrenmorde“ gebe.

„...froh in einem Land zu leben, in dem man keine Angst vor Polizei haben muss...“

Abschließend lobte sie die Polizei für ihre großartigen Leistungen auch an Unfallorten und appellierte, dass auch Polizisten keinen Schaden nehmen sollten. „Achten Sie auf Ihre Seelen!“
Minutenlang erhob sich der gesamte Saal zum Beifall. Ein sicheres Indiz, dass Margot Käßmann den richtigen Nerv getroffen hatte.

A11er-Erlass verteidigt

Innenminister Uwe Schünemann betonte in seinem Grußwort, dass ein Leben in Sicherheit nicht nur Aufgabe des Staates und der Polizei, sondern auch eines jeden Einzelnen sei. Er wolle sich darauf beschränken, in seinem Vortrag die Maßnahmen aufzuzeigen, die die Landesregierung bereits auf den Weg gebracht habe und weitere Ziele zu nennen. Dies sei natürlich nicht ohne Umsetzung durch die Polizeibeamtinnen und -beamte möglich, denen er hiermit Dank aussprach.

Als Rahmenbedingungen und Gesetze benannte der Minister die Maßnahmen seiner letzten sieben Jahre Amtszeit
  • Ein neues Polizeigesetz mit neuen Eingriffsnormen sei auf den Weg gebracht worden.
  • Zusätzliche 1000 Stellen seien geschaffen worden; Niedersachsen habe hier auch ein niedriges Niveau gehabt.
  • Es sei die Polizeiakademie mit Zusammenlegung der Aus- und Fortbildung sowie der Einführung des Bachelor-Studienganges auf den Weg gebracht worden
  • Eine Reform der Polizei, die inzwischen evaluiert worden sei, die mehr Eigenständigkeit der Polizei und mehr Eigenverantwortung in der Fläche gebracht habe sei gelungen.
  • Die neuen Steuerungsmodelle mit Zielvorgaben seien sinnvoll und erfolgreich.
  • Die Innovationsoffensive 2015 mit einem Bericht und Gesamtkonzepte für neue Herausforderungen bei Ausstattung und Technik sei im Werden; in 2009 seien 23 Mio. in Sachmittel investiert worden; für Liegenschaften seien weitere Investitionen nötig.
  • Niedersachsen sei hinsichtlich der Aufklärungsquote bundesweit in die Spitzengruppe aufgestiegen.
  • Die Verkehrssicherheit weise Erfolge auf.
  • Zur persönlichen Situation der Bediensteten räumte der Minister ein, dass es in den vergangenen Jahren immer wieder Zumutungen aus Haushaltsgründen gegeben habe. Finanzkrise und Haushaltsbelastungen verhinderten aber weitere finanzielle Verbesserungen für die Beschäftigten.
  • Als jedoch „machbaren Weg“ verteidigte er den Bewertungsaspekt von Dienstposten, weshalb er eine Konzeption für A11 bis A13 in Auftrag gegeben habe, um das Problem von etwa 400 nicht hinterlegten Dienstposten zu lösen; mehr Stellen seien dagegen nicht finanzierbar.
  • Das Problem steigender Gewalt gegen Polizeibeamte und besonders die Schwere der Angriffe seien besorgniserregend. Daher hob er den IMK-Beschluss zur umfassenden KFN-Studie und Maßnahmen des AK II hervor und befürwortete die Initiative zur Erhöhung des Strafmaßes für diese Delikte. Schünemann kritisierte Fälle, in denen das öffentliche Interesse zur Verfolgung von Beleidigungstatbeständen gegen Beamte verneint worden war, was ihm Applaus einbrachte.
  • Für Fußballeinsätze befürwortete er eine stärkere Selbstverantwortung der Verbände für Präventionsprojekte.
  • Der Minister schloss sich vor dem Hintergrund des Todesopfers in München beim persönlichen Einsatz gegen Gewalt der Forderung nach mehr Zivilcourage in der Gesellschaft an.
  • Zur Personalgewinnung plädierte er für weiterhin mehr Öffnung zur interkulturelle Kompetenz durch Einstellung von Bewerbern mit Migrationshintergrund.
  • Die Frauenförderung sei mit 40 bis 50 % bei den Einstellungen auf einem guten Weg, dem müssten noch die Führungsfunktionen folgen. Die Initiative Audit Familie & Beruf bezeichnete er als wichtigen Fortschritt.
Abschließend ermunterte Schünemann die GdP zur markanten Benennung von Problemen und konstruktiven Vorschlägen.

Bernhard Witthaut betonte in seiner anschließenden Rede, dass die GdP mit ihrem Motto bewusst den Blick von außen auf die Polizei mit einbezogen habe. Er dankte in diesem Zusammenhang besonders der Landesbischöfin für ihre inhaltsreiche Ansprache. Das Motto Gemeinsam für ein sicheres Leben sei übrigens gewollt mehrdeutig, weil es nicht nur um die innere Sicherheit als Gesellschafts- und Polizeiaufgabe, sondern auch um die soziale Sicherheit einschließlich der der Polizeibeschäftigten sowie um die körperliche Unversehrtheit bei der Ausübung des Polizeiberufes gehe.

„Dienstherr sollte den besten Anwalt stellen..“

Er forderte den Dienstherrn zur Fürsorge auf, im Fall eines Angriffes den Beamten den besten Anwalt beizustellen. Der Beifall deutete auf die Dringlichkeit des Anliegens hin. Witthaut betonte die eklatante Steigerung der Fälle von Körperverletzung von 33.618 (Jahr 1999) auf 54.155 (Jahr 2009), was mehr als 60 % entspricht. Der Anteil der Fälle von gefährlicher Körperverletzung sei im gleichen Zeitraum von 10.778 auf 16.399 Fälle gestiegen. Dies verursache auch ein gestiegenes subjektives Unsicherheitsempfinden in der Bevölkerung. Eine Reihe von Maßnahmen in der Polizei sei erforderlich: Der GdP-Landesvorsitzende forderte zusätzlich Anstrengungen zur Verbesserung der interkulturellen Kompetenz der Kolleginnen und Kollegen. Als weitere weiche Faktoren zählten auch Vereinbarkeit von Familie & Beruf dazu. Aber auch rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen im Hinblick auf den hohen Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger müssten stimmen, die eine Ghettobildung verhindern, die Integration fördern oder z. B. auch den Schutz von gewaltorientierten Veranstaltungen verhindert.

Die GdP stelle sich gegen Potemkinsche Dörfer aus politischen Gründen: „Wir brauchen auch keinen freiwilligen Sicherheits- und Ordnungsdienst, wir sind die Profis, wir machen die Arbeit!“ betonte Witthaut.

Er warnte auch vor vordergründigen Sicherheitsmaßnahmen wie Videokameraüberwachung, die nicht darüber hinwegtäuschen dürfe, dass es auch hierfür Menschen dahinter bedarf, die Sicherheit durch ihr Handeln erst erzeugen könnten. Unter Hinweis auf den Bericht des Niedersächsischen Datenschutzbeauftragten müsse die Rechtmäßigkeit in vielen Videoüberwachungen in Frage gestellt werden. Der Beweis, dass dadurch Straftaten insgesamt verhindert werden, konnte – so auch der Diskussionsstand bei EuroCop - bisher nicht erbracht werden.
Fußball und Gewalt sei ebenfalls zum brennenden Thema geworden. Wochenende für Wochenende sind hunderte von Kolleginnen und Kollegen im Einsatz. Zum Thema Gewalt gegen Polizei lobte er ausdrücklich die Initiative von Minister Schünemann zur KFN-Studie. Die GdP fordert zudem einen eigenen Paragraphen im StGB gegen Angriffe auf Polizeibeamtinnen und –beamte. Denn die bisherige Regelung setze voraus, dass sich der Beamte bei dem Angriff in jedem Fall in einer Vollstreckungssituation befindet, zum Beispiel bei einer Festnahme oder einer Räumung. Unvermittelte Attacken auf nichtsahnende Streifenbeamte im täglichen Dienst würden von der Strafbarkeit bisher nicht erfasst. Der tätliche Angriff auf Polizeivollzugsbeamte müsse künftig deutlicher - bis zu fünf Jahre - bestraft werden, als die bisherige Widerstandshandlung.
Als weitere Maßnahme fordere die GdP, bei  Mehrfach- und Intensivtätern eine stärkere Wahrnehmung der Möglichkeit bei den kommunalen Straßenverkehrsämter nach dem Straßenverkehrsgesetz, bei besonders aggressiven Straftätern oder bei wiederholten Auffälligkeiten und Alkoholmissbrauch Medizinisch Psychologische Untersuchungen (MPU) anzuordnen.

Neben solchen wirksamen Maßnahmen gegen Gewalt müsse der Polizei auch im fürsorgerischen Bereich geholfen werden, indem die Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage wieder eingeführt werde.
Sicherheit heiße auch soziale Sicherheit. Neben dem sicheren Arbeitsplatz gehöre auch berufliche Zufriedenheit, die Art und Weise des Umgangs mit- und untereinander und nicht zuletzt die beruflichen Perspektiven dazu. Er kritisierte die Herauslösung der Beschäftigten der Polizeiverwaltung und des Facility Managements aus der Polizei.

Sehr kritisch bemerkte Koll. Witthaut die politische Reaktion 2007 auf die von der GdP beauftragte wissenschaftliche Befragung der Mitglieder. 5592 Rücklauffragebögen seien als unseriös bezeichnet worden, obwohl dies immerhin 25 % der Beschäftigten in der gesamten Polizei ausmachte. Was daran nicht repräsentativ sein sollte, verschließe sich ihm bis heute, so Witthaut. Dass sich dieser Kritik gegen die Umfrage auch einige aus der Polizeispitze anschlossen, sei umso unverständlicher.
Auch das Führungsverhalten in einigen Bereichen sei verbesserungswürdig. 

Der GdP-Chef wies noch einmal auf das soeben vom Landesdelegiertentag beschlossene Attraktivitätsprogramm der GdP hin.
Er trat den Aussagen des Ministers entgegen, die Finanzsituation könne weitere Verbesserungen für die Polizei nicht erlauben.

Attraktivitätsprogramm der GdP bietet Lösungen

Kritik übte der GdP-Vorsitzende an dem „A11-er“ Erlass, weil die vorhandenen 2359 Planstellen für A11 laut Vorgabe nicht überschritten werden dürften und dies somit eine Deckelung der Beförderungsperspektiven zur Folge habe. Er appellierte, zwischen der 2. und 3. Lesung im Landtag gemeinsam Vorschläge zu erarbeiten, wie eine Verbesserung des Personalhaushaltes der Polizei erreicht  werden kann, um dieses Problem zu beseitigen.
Um die Missstände in der Berufsperspektive der Polizeiverwaltungsbeamtinnen und -beamten zu lösen, müssten eine Reihe von Baustellen angegangen werden, angefangen bei der Nachwuchssorge durch den Wegfall der Fachhochschule Verwaltung. Er erwarte greifbare Ergebnisse von der hierzu vom MI beauftragten Arbeitsgruppe.

Das Ziel des Freisetzungsprogramms mit der Option der beruflichen Weiterentwicklung für Verwaltung- und Tarifbeschäftigte sei durch Privatisierung, Outsourcing und dadurch teilweise Rückverlagerung auf Vollzugsbeamte faktisch wieder ad absurdum geführt worden. Privatisierung habe sich nicht immer an der Wirtschaftlichkeit, die teils auch gegen eine Privatisierung sprach, sondern an der politischen Zielsetzung orientiert. Servicebereiche und Polizeiverwaltung gehörten, so Witthaut, als Effizienzfaktor in die Polizei und nicht in die Wirtschaft oder in die Finanzverwaltung.

Als bodenlose Unverschämtheit gegen die künftigen Seniorinnen und Senioren kritisierte Witthaut heftig die Verabschiedung der Einstellung der 535 Mio. Euro Versorgungsrücklagen und Rückführung des Angesparten in den Landeshaushalt.
Zu den Beförderungs- und Perspektivzielen, die Ministerpräsident Wulff zu recht für die Polizei anlässlich der 60-Jahr-Feier der GdP definierte, betonte der GdP-Chef seine Zustimmung und fragte, warum das Kabinett bei der Haushaltsaufstellung denn nicht diese Ziele ihres MP umsetze. Er appellierte an den Ministerpräsidenten und sein Kabinett, im Rahmen der Haushaltsberatung die Stellenplanobergrenzen auszuschöpfen, die Lücken zwischen Dienstpostenbewertung und Planstellen zu schließen, polizeiliche Arbeit sachgerecht zu bewerten, um damit einen Beitrag zur Motivation und zur Sicherheit im Lande zu leisten.

Zahme Gewerkschaften sind lahme Gewerkschaften, sagte Bernhard Witthaut abschließend. Die GdP wird sich weiterhin  nicht zahm, sondern kämpferisch und konstruktiv einbringen. Sie fordere eine Bürger orientierte Polizei, eine Mitarbeiter orientierte Führung und Perspektiven und sachgerechte Bewertung für die Beschäftigten in der Polizei. Nicht nur eine gesteigerte Aufklärungsquote sondern vor allem auch eine zufriedene Polizei trage zur Inneren Sicherheit bei.
Im Fazit lud er Politik und Führung ein, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen: „Es lohnt sich immer gemeinsam für ein sicheres Leben einzusetzen.“
Nach einer literarisch-satirischen Kurzlesung beschloss Dietmar Schilff den offiziellen Teil des Delegiertentages.

Red.


Fußnoten:
[1]     Leitartikel in DP Ausgabe 11/2009 LandesJournal Niedersachsen
[2]      ENZYKLIKA DEUS CARITAS EST VON PAPST BENEDIKT XVI. Nr. 28 a), Quelle: http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/encyclicals/documents/hf_ben-xvi_enc_20051225_deus-caritas-est_ge.html


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Fotos: Uwe Robra (UR)

Musikalischer Auftakt mit der PMK-Jazzformation
Foto: UR
 

Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Dr. Margot Käßmann
Foto: UR
 

Diemar Schilff moderiert den offiziellen Tag des 29. Delegiertentages und begrüßt Redner und Gäste
Foto: UR
 

Erster Bürgermeister der Landeshauptstadt Hannover Bernd Strauch
Foto: UR
 

DGB-Landesbezirksvorsitzender Hartmut Tölle
Foto: UR
 

GdP-Bundesvorsitzender Konrad Freiberg
Foto: UR
 

Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Dr. Margot Käßmann
Foto: UR
 

Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Dr. Margot Käßmann
Foto: UR
 

Stehende Ovationen für die Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann
Foto: UR
 

Dietmar Schilff übergibt der Landesbischöfin Blumen
Foto: UR
 

Innenminister Uwe Schünemann
Foto: UR
 

Innenminister Uwe Schünemann
Foto: UR
 

GdP-Landesvorsitzender Bernhard Witthaut bei seiner abschließenden Rede
Foto: UR
 

GdP-Landesvorsitzender Bernhard Witthaut erhält großen Applaus
Foto: UR
 

GdP-Landesvorsitzender Bernhard Witthaut erhält großen Applaus
Foto: UR

 
 
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