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Landesjournal Niedersachsen November 2010 - ÜBERLASTUNG DER POLIZEI: Dienst und kein Ende – Belastungsgrenzen der Kolleginnen und Kollegen sind weit überschritten!

Überstunden im mehrstelligen Bereich, Wochenenden im Einsatz, arbeiten bis zum Umfallen – das ist für zahlreiche Kolleginnen und Kollegen kein Einzelfall, sondern der Alltag. Dramatisch ist, dass dieses Phänomen nicht nur auf einzelne Bereiche begrenzt ist, sondern nahezu flächendeckend und aufgabenübergreifend beobachtet wird. Das berichten Personalräte, GdP-Untergliederungen und Kolleginnen und Kollegen. Die GdP hat in ihrer Verpflichtung den Mitgliedern gegenüber bereits in der Vergangenheit auf die (Un)-Zumutbarkeit der Einsatzbelastung hingewiesen und wird dies auch in Zukunft tun. Nicht zu verstehen ist in diesem Zusammenhang wieder einmal die Reaktion von Innenminister Schünemann: Angesprochen auf einen Bericht in der Bildzeitung Hannover v. 6. 10. 2010, in der die GdP zum Thema Einsatzbelastung in der Polizei befragt wurde, sagte er einen Tag später sinngemäß auf Radio Antenne Niedersachsen, dass die GdP z. Zt. offensichtlich jedes Thema aggressiv besetzen würde. Nicht das Problem und Lösungen stehen also im Focus, sondern das Thematisieren wird kritisiert.

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Der Autor:
Dietmar Schilff, Stellvertretender Landesvorsitzender
Foto: GdP-Archiv
Polizeiliche Aufgaben unterliegen einem ständigen Wandel, angepasst an gesellschaftliche Entwicklungen und Bedürfnisse. Auf der anderen Seite entfallen selten alte Probleme, so dass es nicht zu einer Schwerpunktverlagerung kommt, sondern zu einer Zunahme der notwendigen Tätigkeiten. Gleichzeitig gibt es aber nicht mehr Schultern, auf die die Arbeit verteilt werden kann.

Unter dieser Arbeitsverdichtung und der gestiegenen Gewalt gegenüber der Polizei leidet inzwischen die Gesamtorganisation, die ihre Aufgaben dennoch nach wie vor so meistert, dass die Bevölkerung kaum etwas von den Problemen mitbekommt. Nirgendwo brechen die Aufklärungsquoten – zumindest nach außen erkennbar – ein.

Aber um welchen Preis? Den Preis, der für die Arbeit der niedersächsischen Polizei zu zahlen ist, zahlen die Beschäftigten. Mit ihrer Gesundheit, ihrer Freizeit, ihrer Zufriedenheit und ihrem Wohlbefinden. Der Anstieg der Krankenquoten, die Zunahme von Burnouts und Depressionen sprechen eine eindeutige Sprache.

 
Bereitschaftspolizei

Sicherlich symptomatisch für die Entwicklung ist die Bereitschaftspolizei. In erster Linie leiden die dortigen Kolleginnen und Kollegen unter dem kontinuierlichen Anstieg der Einsatzanlässe. An fast jedem Wochenende muss ein Großaufgebot zu Fußballeinsätzen bis in die untersten Ligen anreisen, häufig zu mehreren Spielen hintereinander.

Die Zahl der länderübergreifenden Einsätze nimmt dabei ebenso zu wie das Erfordernis, bei links- oder rechtsextremen Veranstaltungen in stattlicher Anzahl vor Ort sein zu müssen.

Oft unterschätzt wird auch, dass Einsätze von der Größenordnung eines CASTOR-Transportes bereits im Vorfeld des eigentlichen Einsatztermins eine monatelange Einbindung mit ständig ansteigender Anzahl der eingesetzten Kräfte notwendig macht. Die Belastung steigt durch lange Vor- und Nachbereitungszeiten.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Einsatzstärken durch ständig anwachsende Zusatzaufgaben wie Objektschutz und präventive Anti-Terror-Streifen nachhaltig reduziert werden.

Eine weiteres Problem ergibt sich aus der hohen Fluktuation durch den jährlichen Personalwechsel. Was sind die Folgen? Auf Grund der hohen Einsatzbelastung reduziert sich die Aus- und Fortbildung.

Mittlerweile steigen die Krankheitsraten an und verweilen auf einem noch nie da gewesenen hohen Niveau. Das führt dazu, dass über das ganze Jahr ca. 160 Beamtinnen und Beamte wegen Krankheit, Urlaub und Fortbildung nicht einsetzbar sind.

Die Belastung wächst täglich durch ständig und kurzfristig wechselnde Einsatzzeiten.

Es ist keine verlässliche Freizeitgestaltung mehr möglich, freie Wochenenden sind auf Grund der Art der Einsätze eine Seltenheit geworden, wobei alles versucht wird, um das planbare Wochenende (PW) auch zu gewährleisten.

Doch nicht nur diese Faktoren machen eine Tätigkeit bei der BePo unattraktiv. Mit der Umsetzung des Erlasses zum Dienstpostenkonzept A 11 gibt es dort kaum Entwicklungschancen.

Einzeldienst

Nahezu alle Ausführungen zur Bereitschaftspolizei sind auf den Einzeldienst übertragbar. Die Einzeldiensthundertschaften werden in hoher Intensität beansprucht. Eine Entlastung durch die Bereitschaftspolizei kann kaum noch stattfinden. Um die Arbeitsfähigkeit des ESD überhaupt noch sicherstellen zu können, unterstützen Kolleginnen und Kollegen aus den KED’s, den ZKD’en und anderen Dienstzweigen. Diese Maßnahme ist zur Aufrechterhaltung der Stärkevorgaben offensichtlich notwendig, doch unproblematisch ist dies nicht. Erfordert der Wechsel in Spezialbereiche der Polizei eine gute Einarbeitung, so ist auch ein Einsatz im ESD nach längerer Abstinenz nicht ohne weiteres möglich. Die Tätigkeit im ESD ist komplex, erfordert dauernde Fortbildung, Selbstverteidigungs- und Einschreittechniken (u. a. SET,AMOK), Orts-, Milieukenntnisse und Erfahrungswissen. Daneben muss eine adäquate materielle Ausstattung gewährleistet sein.

Das besondere Problem der Überlastung des ESD liegt darin begründet, dass schnell die Alltagsarbeit leidet. Dies ist schon seit längerer Zeit spürbar, auch wenn alle Beteiligten versuchen, alles zu kompensieren und möglich zu machen. Die Krankenquote spricht eine eindeutige Sprache.

Spezialbereiche

Auch hier gelten die bereits getroffenen Feststellungen. MEK's und andere Ermittlungseinheiten haben in großen Umfangsverfahren Überstundenzahlen angesammelt, die mit dem Zeitraum, in dem sie angefallen sind, eigentlich nicht kompatibel sind. Gerade in den Bereichen der Rauschgift- und der Organisierten Kriminalität sowie des Staatsschutzes (Links- und Rechtsextremismus sowie Islamismus) haben große Umfangsverfahren zu einer massiven Beanspruchung der eingesetzten Kolleginnen und Kollegen geführt. Zwar ist hier viel Geld zur Verfügung gestellt worden, um eine Auszahlung der Überstunden ermöglichen zu können. Der Grund hierfür ist die Erkenntnis, dass ein Freizeitausgleich nicht möglich ist, ohne die Funktionsfähigkeit von ganzen Organisationseinheiten über Wochen und Monate auszuschalten. Da es sich hier nur um Überstunden maximal eines Jahres handelt, ist die Dramatik beängstigend.

Unter Gesundheitsschutzaspekten ist die Entscheidung bedenklich und alarmierend. Von Dauer ist diese Lösung jedenfalls nicht. Und sie regelt auch nicht das eigentliche Problem, denn langfristige Maßnahmen wie personelle Verstärkungen sind offensichtlich nicht in Erwägung gezogen worden.

Dies gilt natürlich auch für andere Ermittlungsgruppen. Hier werden Überstundenstände produziert, die ohne einen organisatorischen Zusammenbruch nicht zu kompensieren sind. Einbußen bei der täglichen Ermittlungsarbeit scheinen bereits als selbstverständlich hingenommen zu werden. Grundsätzlich zu begrüßen ist die Anpassung an EU-Standard wie beispielsweise bei der Erhöhung der DNA-Spuren um fünf Merkmale. Aber ist dabei auch bedacht worden, dass dies einen Anstieg des Arbeitsaufkommens um ca. 30% mit sich bringt? Soll auch dies durch Überstunden erbracht werden? Wird mehr Personal eingestellt? Oder erfolgt eine Fremdvergabe an polizeifremde Institute und zu welchen Konditionen?

Entscheidungen haben Folgen, die vorher in ihrer Konsequenz bedacht werden müssen.

Polizei – eine familienfreundliche Verwaltung?

Die Antwort des Innenministeriums auf diese Frage ist: „Selbstverständlich, wir haben doch das „audit berufundfamilie“®!“[1] [2] [3]. Vor Ort wird auch viel dafür getan, dass Beruf und Familie besser miteinander vereinbar sind. Aber der schöne Schein trügt landesweit dennoch. Wenn teilzeitbeschäftigte Mütter in der Bereitschaftspolizei mit ihren Überstunden eine wöchentliche Vollzeitbeschäftigung überschreiten, wenn Familien ihre Kinderbetreuung nicht mehr sicherstellen können und sich dazu gezwungen sehen, in eine Krankschreibung zu flüchten, dann zeigt dies das Problem zwischen Anspruch und derzeitiger Realität.

Verwaltung und Tarif

Selbstredend sind von diesen Auswüchsen der Arbeitsverdichtung, Belastung und teilweise auch Selbstausbeutung in gleichem Maß die Verwaltungsbeamtinnen und -beamten und die Tarifbeschäfigten in allen Bereichen betroffen, die durch ihre Arbeit die vollzugspolizeilichen Aufgaben unterstützen und ihre Umsetzung erst möglich machen. Hierauf gilt es ein besonderes Augenmerk zu legen, um der Überbeanspruchung in gleichem Maß entgegen zu treten.

Als Interessenvertretung der Kolleginnen und Kollegen in allen Bereichen fordern wir:

    • „audit berufundfamilie“ auch für Einsatzkräfte und damit in allen Bereichen
    • Beibehaltung der PW (planbare freie Wochenenden)-Regelung
    • Einhalten von verlässlichen Ausgleichs- und Ruhezeiten im Sinne des Arbeits- und Gesundheitsschutzes
    • größtmögliche Verlässlichkeit und Planbarkeit der Arbeitszeiten
    • Übernahme von Zusatzaufgaben nur bei gleichzeitiger Sicherstellung von zusätzlichen Kräften.
Die Frage der Einsatzbelastung ist inzwischen eine der wichtigsten für die Kolleginnen und Kollegen, aber auch für die Gesamtpolizei insgesamt. Deshalb wird die GdP in den nächsten Monaten einen Schwerpunkt auf dieses Thema legen. Unsere Fachausschüsse Kriminal-, Schutz-, Wasserschutz-, Bereitschaftspolizei und Verwaltung sowie die Tarifkommission werden sich mit diesen Problemen spartenorientiert auseinandersetzen. Aber wir werden auch die Kolleginnen und Kollegen nach ihren Erfahrungen befragen. Die GdP startet diesbezüglich demnächst eine Initiative in der Kollegenschaft. Nähere Informationen folgen.

Dietmar Schilff, Stellvertretender Landesvorsitzender



[1] Website der „berufundfamilie gemeinnützige GmbH - eine Initiative der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung“: http://www.beruf-und-familie.de
[2] Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei der Niedersächsischen Polizei, Themenseite zur Zertifizierung: http://www.polizei.niedersachsen.de/thema/berufundfamilie/
[3] "Innenministerium wird familienfreundlicher“, Zertifizierung des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport: http://www.mi.niedersachsen.de/live/live.php?navigation_id=14827&article_id=63125&_psmand=33
Red.


Mehr zum Thema Bereitsschaftspolizei und dienstliche Belastung im bundesweit einheitlichen Teil der DP, Ausgabe 11/2010 Mehr zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf:
    • Wikipedia (externer Link) >>>

Mehr zum Thema Burnout-Syndrom:
    • Wikipedia (externer Link) >>>
Red.

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