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Gesundheitsrisiko oder echte Zukunftsperspektive?

Offener Brief zur Ausbildungs- und Unterbringung in der Justizvollzugsschule Boostedt

Der Vorstand der Regionalgruppe Justizvollzug wendet sich in diesem offenen Brief mit klaren Worten und deutlichen Forderungen an den Justizminister Claussen, um auf die Missstände in der Justizvollzugsschule Boostedt hinzuweisen.

Sehr geehrter Herr Minister Claussen,

die Nachwuchskräftegewinnung ist ein großes Thema innerhalb der Landesverwaltung und somit auch innerhalb des Justizvollzuges: "Komm' zu uns, wir bilden aus! Arbeite beim Land! Die Landesverwaltung bietet attraktive Arbeits- und Ausbildungsplätze in den unterschiedlichsten Berufen!"

Hochglanzflyer mit diesem Inhalt werden nicht nur auf Jobmessen verteilt, sondern der Werbeslogan der Landesregierung springt uns auch von fast jedem Dienstfahrzeug entgegen. Und klingt erst einmal vielversprechend: Ein nahezu krisensicherer Arbeitsplatz, ein gesichertes Einkommen, man begibt sich in die Fürsorgepflicht des Dienstherrn des Landes.

Gemeinhin könnte man daraus schlussfolgern, dass gerade in Anbetracht zahlreicher Alternativen auf dem Arbeitsmarkt der Dienstherr viel in die Nachwuchsgewinnung investiert, nicht nur in die Gestaltung des Internetauftritts. Man könnte meinen, dass der Fokus des Dienstherrn auf der Aus- und Fortbildung der neu gewonnenen Anwärterinnen und Anwärter liegt. Dass der Dienstherr seine Fürsorgepflicht ernst nimmt, dieser uneingeschränkt nachkommt und die Anwärterinnen und Anwärter in ihrem Bestreben unterstützt und ermutigt werden, Landesbedienstete zu werden, die tagtäglich verantwortungsbewusst hoheitliche Aufgaben umsetzen.

So viel zur Theorie. Umso erschreckender sind für uns als Gewerkschaft der Polizei die Bilder und die Beschreibung der Zustände, wie sie uns aus der Justizvollzugsschule des Landes Schleswig-Holstein in Boostedt erreichen. Hier werden landesweit alle Anwärterinnen und Anwärter des Justizvollzuges aus- und fortgebildet. Sporttests, Einstellungsgespräche und auch Fortbildungen finden hier statt. Demnach sollte es das Herzstück, das Aushängeschild des Dienstherrn sein. Doch weit gefehlt!
Das Gelände der JVS ist unterteilt in
  • das Schulgebäude für die theoretischen Unterrichtseinheiten,
  • das Unterkunftsgebäude, das die Zimmer der Anwärterinnen und Anwärter sowie einen Nassbereich und eine Kantine beinhaltet und
  • den Trainingsbereich für das Erlernen und Anwenden der praktischen Einheiten (bspw. ETR-Zugriffstechniken und HSP-Schulungen).

Nachdem bereits in der letzten Ausgabe "Der Schlüssel 2022-2" darüber berichtet worden war, dass die einst dazugehörige Sporthalle nicht mehr für die praktische Ausbildung der Anwärterinnen und Anwärter oder auch die ETR-Graduierungsschulungen zur Verfügung steht, hat das Ausmaß der Katastrophe inzwischen noch viel größere Dimensionen angenommen:
Wie sich nun heraus gestellt hat, kann die Sporthalle nicht wie geplant als Notunterkunft für ukrainische Flüchtlingsfamilien dienen, da eine dortige Unterbringung aufgrund des maroden Zustandes des Gebäudes menschenunwürdig wäre. Eindringendes Regenwasser aufgrund undichter und herunter brechender Deckenplatten, eine Rattenplage und der marode Zustand des Hallenbodens sollen ursächlich dafür sein.

In den Unterrichtsräumen unserer Anwärterinnen und Anwärter sieht es nicht besser aus: Auseinanderbrechende und stark verschmutzte Parkettböden, frei liegende Elektroleitungen (o. re.), verkalkte sowie verdreckte Keramik und Armaturen in den Toilettenräumen (o. lks.). Gepaart mit dem ironisch wirkenden Hygienehinweis "Hände bitte desinfizieren!" Glasfasernetz oder auch W-LAN zur Verbesserung und Strukturierung der Unterrichtsinhalte gleich Fehlanzeige. Hilfsweise und provisorisch aufgestellte Lautsprecher für eine bessere Raumakustik können dieses Manko kaum ausgleichen.

Parallel dazu prangen an den Pinnwänden uralte vergilbte Zeitungsausschnitte (re.) mit dem Titel "Vollzugsbeamte sind mehr als Schließer!" Zeigt sich so Wertschätzung? Wertschätzung für diesen schwierigen und anspruchsvollen Beruf des Vollzugsbediensteten - Wertschätzung von der eigenen Landesregierung?

Beim genaueren Blick in das Unterkunftsgebäude wird die Grenze des Vorstellbaren überschritten. Wie unserer GdPVertrauensperson Bianca Bahr aus der JVA Neumünster zugetragen wurde, schlafen die Anwärterinnen und Anwärter auf Matratzen, die normalerweise in den Beobachtungshafträumen der Vollzugsanstalten für Gefangene verwendet werden (lks.) - direkt neben einem einsturzgefährdeten Dachboden, der nicht betreten werden darf. Auch in den Zimmern der Anwärterinnen und Anwärter auseinanderbrechende Parkettböden und behelfsweise Campingkühlschränke. In der Gemeinschaftsküche veraltetes und verkalktes, nicht intaktes Kochgeschirr und verstopfte bzw. verschimmelte Abflüsse. In den Gemeinschaftsduschen undichte Wasserleitungen, Schimmel in den Naßzellen und an den Wänden. Der Putz bröckelt, die Toilettenschüsseln lösen sich bei der kleinsten Bewegung vom Boden.

Herren- und Damentoiletten? Fehlanzeige! Gemeinschaftstoiletten (lks. u.), die durch selbst gebastelte Schilder der Anwärterinnen und Anwärter (re. U.) die beiden Geschlechter innerhalb der Kabinen trennt.

Bei Auszubildenden einer Landesregierung, die sich das „Gendern“ auf die Fahne geschrieben und das dritte Geschlecht bei Besuchen von Gefangenen zugelassen und problematisiert hat. Und das Beste: Die sanitären Anlagen werden lediglich einmal täglich von einer Firma gereinigt. 50 Menschen, die sich 24/7 wenige Toiletten und Duschkabinen teilen. Das mag man sich unter Normalbedingungen nicht einmal vorstellen. Und während einer weltweiten Pandemie unter Beachtung sämtlicher von der Landesregierung in Kraft gesetzten Hygienekonzepte erst Recht nicht.

Im Keller der Unterkunft bietet sich ein weiteres Bild des Grauens: Dort gelagerte Trainingsanzüge - neu angeschafft - sind verschimmelt (lks.). Stockschimmel. Ein Resultat des modrigen Mauerwerks und der eindringenden Feuchtigkeit. Weggeworfene Steuergelder.
Aufgeplatzte Isolierungen und frei liegende Leitungen. Salpeter an den Wänden. Das darüber angebrachte Schild in loderndem Rot bekommt durch die Aufschrift "Notausgang" eine ganz andere Bedeutung. Wird hier mit der Gesundheit unserer Nachwuchskräfte gespielt? Leichtsinnig damit umgegangen auf jeden Fall. Ein bisschen wie russisch Roulette.

Auch der Anblick der Räumlichkeiten für das ETR-Training verheißt nichts Gutes. Die Heizungsanlage ist defekt. Elektrische Radiatoren wurden für die provisorische Wärmeversorgung bei den eisigen Außentemperaturen angeschafft. Das zuführende Elektrokabel führt direkt an großen Wasserpfützen im Keller vorbei (re.). Auch hier: marode Fenster und Schimmel an den Wänden. Faustgroße Löcher in den Außenwänden, abplatzender Putz, der auf die Treppe rieselt.

Ist das gut genug für die Zukunft unseres Landes? Motiviert und unterstützt man so unsere jungen und engagierten Nachwuchskräfte, während gleichzeitig vor dem Erscheinen der "Nationalen Stelle für die Verhütung von Folter" in den Vollzugsanstalten noch einmal jeder Flur gefegt und jedes Fenster geputzt wird, damit es seitens der Kommission in den Anstalten ja nichts zu beanstanden gibt? Was ist das für ein Signal? Was für Prioritäten werden hier gesetzt?

Auf Antrag der Fraktionen CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (Drucksache 19/2020) wurde die Landesregierung gebeten, auf Grundlage der vorliegenden Personalbedarfsanalyse ihre Personalentwicklungs- und Anwerbestrategie an die langfristigen Ziele anzupassen, um unter der Berücksichtigung des demografischen Wandels sicherzustellen, dass die im Justizvollzug vorhandenen und benötigten Stellen stets mit qualifiziertem Personal besetzt werden können. In diesem Bericht (Drucksache 19/2541) erfolgten eine Darstellung des Justizvollzuges als attraktiver Arbeitgeber sowie der Ziele und Maßnahmen der Personalgewinnung. Besondere Bedeutung im Rahmen der Personalentwicklungs- und Anwerbestrategie haben die Einstellungsverfahren. Bereits bei diesem ersten Aufenthalt in der Justizvollzugsschule nehmen die Bewerberinnen und Bewerber die dortigen Bedingungen wahr (und sei es nur beim Toilettengang, re.).

Mit den aktuellen Ausbildungs- und Unterbringungsbedingungen in der Justizvollzugsschule Boostedt werden wir im Wettbewerb um ausreichend qualifiziertes Personal nicht in Konkurrenz treten können.

Wir fordern Sie, sehr geehrter Herr Minister Claussen, auf, gemeinsam mit der Landesregierung die notwendigen Mittel bereit zu stellen, um diese beschriebenen Zustände mit sofortiger Wirkung abzustellen und den Anwärterinnen und Anwärtern die Unterbringung und Lernatmosphäre zu ermöglichen, die für eine Beschäftigung im Landesdienst angemessen ist!



Mit freundlichen Grüßen

Der Vorstand
i.A.

Ute Beeck
Vorsitzende
Zum offenen Brief mit allen schockierenden Bildern
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