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Bundesverfassungsgericht stellt Kriterien zur Angemessenheit der Alimentation auf

Hannover:.

In einem am 5. Mai 2015 verkündeten Grundsatzurteil (BVerfG, Az. 2 BvL 17/09 u.a.) hat der Zweite Senat des BVerfG entschieden, dass die Richterbesoldung in Sachsen-Anhalt teilweise nicht angemessen ist und gegen das in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte Alimentationsprinzip verstößt. Gleichzeitig hat das Gericht erstmals Kriterien aufgestellt, nach denen die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation zu überprüfen ist. Mit Hilfe dieser konkreten Regeln ist zukünftig unmittelbar auch die untere Grenze der Besoldung anderer Beamtengruppen wie Polizeibeamtinnen und –beamten zu bestimmen.

Verfahrensgegenstand waren insgesamt sieben konkrete Normenkontrollverfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Besoldung von Richtern und Staatsanwälten. Zwei Vorlagen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen betreffen die Frage, ob die Alimentation nordrhein-westfälischer Richter der Besoldungsgruppe R 1 im Jahr 2003 verfassungsgemäß war (Az. 2 BvL 17/09 und 2 BvL 18/09). Vier Vorlagen des Verwaltungsgerichts Halle betreffen die Besoldungsgruppe R 1 des Landes Sachsen-Anhalt in den Jahren 2008 bis 2010 (Az. 2 BvL 3/12 bis 2 BvL 6/12). Gegenstand einer Vorlage des Verwaltungsgerichts Koblenz ist die Alimentation eines Leitenden Oberstaatsanwaltes in der Besoldungsgruppe R 3 in Rheinland-Pfalz seit 1. Januar 2012 (Az. 2 BvL 1/14).

Das Gericht hatte am 3. Dezember 2014 über die Amtsangemessenheit der Besoldung von Richtern und Staatsanwälten verhandelt. Dabei ließen die Richter Zweifel an der gegenwärtigen Besoldungsstruktur erkennen. Wie sich die grundgesetzlich garantierte amtsangemessene Alimentation (Art. 33 Abs. 5 GG) künftig präzisieren und damit die Grenze zur Unteralimentation befestigen lässt, blieb während der mündlichen Verhandlung zwar noch unklar. Allerdings machte Gerichtspräsident und Senatsvorsitzender Andreas Voßkuhle seinerzeit deutlich, dass die Richter des Zweiten Senats sich gefordert sehen, „einen plausiblen, für alle Beteiligten nachvollziehbaren und praktikablen Entscheidungsmaßstab“ für eine amtsangemessene Alimentation zu entwickeln. „Wir müssen die Grenze zur Unteralimentation definieren“, sagte er.

In seinem Urteil vom 5. Mai 2015 weist das Gericht explizit darauf hin, dass der Gesetzgeber bei der praktischen Umsetzung der Alimentation seiner Bediensteten einen weiten Entscheidungsspielraum besitze, dem eine zurückhaltende, auf den Maßstab evidenter Sachwidrigkeit beschränkte gerichtliche Kontrolle entspreche. Die materielle Kontrolle beschränke sich im Ergebnis auf die Frage, ob die Bezüge der Richter und Staatsanwälte evident unzureichend seien.

Ob dies der Fall ist, müsse anhand einer Gesamtschau verschiedener Kriterien und unter Berücksichtigung der konkret in Betracht kommenden Vergleichsgruppen geprüft werden.
Erstmals konkretisiert das Gericht die Kriterien, nach denen die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation zu überprüfen ist.

Auf einer ersten Prüfungsstufe sind fünf Parameter mit indizieller Bedeutung heranzuziehen; die Vermutung für eine verfassungswidrige Unteralimentation besteht, wenn mindestens drei davon erfüllt sind.

1. Eine Differenz zwischen der Besoldungsentwicklung und der Entwicklung der Tariflöhne im öffentlichen Dienst von über 5% auf einen Zeitraum von 15 Jahren

2. Eine Differenz zwischen der Besoldungsentwicklung und der Nominallohnentwicklung von über 5% auf einen Zeitraum von 15 Jahren

3. Eine Abweichung der Besoldungsentwicklung von der Entwicklung des Verbraucherpreisindex in dem Land von über 5% auf einen Zeitraum von 15 Jahren

4. Eine Verringerung der Abstände der Bruttogehälter aufgrund unterschiedlich hoher linearer Anpassungen zwischen zwei Besoldungsgruppen um mindesten 10% in den zu-rückliegenden 5 Jahren

5. Eine Unterschreitung der durchschnittlichen Besoldung des Bundes und der anderen Länder von mehr als 10%

Auf einer zweiten Prüfungsstufe kann diese Vermutung durch Berücksichtigung weiterer Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung widerlegt oder weiter erhärtet werden. Kriterien sollen sein: Ansehen des Amtes in den Augen der Gesellschaft, geforderte Ausbildung und Beanspruchung, Entwicklung der Qualifikation der eingestellten Bewerber, die besondere Qualität der Tätigkeit und Verantwortung des Amtes, Entwicklungen im Bereich der Beihilfe und der Versorgung sowie Vergleich der Entwicklung der durchschnittlichen Bruttoverdienste sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter mit vergleichbarer Qualifikation.

Auf einer dritten Prüfungsstufe ist gegebenenfalls eine Abwägung mit kollidierenden verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen wie dem Verbot der Neuverschuldung (Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG „Schuldenbremse“) herbeizuführen; im Ausnahmefall kann eine Unteralimentation verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Auch das besondere Treueverhältnis verpflichte Beamter aber nicht dazu, stärker als andere zur Konsolidierung öffentlicher Haushalte beizutragen (d.h. kein Sonderopfer). Andererseits urteilt das BVerfG: „Eine Einschränkung des Grundsatzes der amtsangemessenen Alimentierung aus rein finanziellen Gründen kann zur Bewältigung einer der in Art. 109 Abs. 3 Satz 2 GG genannten Ausnahmesituationen in Ansatz gebracht werden, wenn die betreffende gesetzgeberische Maßnahme ausweislich einer aussagekräftigen Begründung in den Gesetzgebungsmaterialien Teil einer schlüssigen und umfassenden Konzepts der Haushaltskonsolidierung ist.“

Nach diesen Maßstäben sind die Grundgehaltssätze der Besoldungsgruppe R 1 in Sachsen-Anhalt in den Jahren 2008 bis 2010 mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar. Der Landesgesetzgeber hat verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 1. Januar 2016 an zu treffen. Die Grundgehaltssätze der Besoldungsgruppe R 1 in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2003 sowie die Grundgehaltssätze der Besoldungsgruppe R 3 in Rheinland-Pfalz ab dem 1. Januar 2012 sind hingegen mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar. Das Urteil ist einstimmig ergangen.

Auf die Besoldung der Beamtinnen und Beamten ist das Urteil weitgehend zu übertragen. Fraglich bleibt aus allerdings, was zukünftig die zu vergleichende Referenzgruppe sein soll (Gesamtabwägung der 2. Prüfungsstufe).

Die Entwicklung eines Prüfschemas, mit Hilfe dessen nachvollziehbar und objektiv eine mögliche Unteralimentation von Beamtinnen und Beamten festgestellt werden kann, ist aus Sicht der GdP grundsätzlich zu begrüßen.

Insbesondere gilt dies für die Berücksichtigung die langjährigen Forderung der GdP, dass die Besoldung von Beamtinnen und Beamten durch die Länder nicht einseitig und unproportional schlechter im Verhältnis zu anderen vergleichbaren Berufsgruppen und Ländern bzw. dem Bund sein darf (1. Prüfungsstufe Nr. 5, 2. Prüfungsstufe). Auch die konkreten Ausführungen zur Orientierung der Besoldung an den jeweiligen Tarifabschlüssen (1. Prüfungsstufe Nr. 1) sind grundsätzlich zu begrüßen.

Ebenfalls neu und wichtig ist die Feststellung des Gerichts, dass die Festlegung der Besoldungshöhe an prozedurale Anforderungen insbesondere in Form von Darlegungs- und Begründungspflichten im Gesetzgebungsverfahren gebunden ist. Einschnitte in die Beamtenbesoldung sollen zukünftig nur noch dann gerechtfertigt sein, wenn sie Teil eines schlüssigen und umfassenden Gesamtkonzepts der Haushaltskonsolidierung sind. Den Gesetzgeber trifft dabei eine umfassende Begründungspflicht, der er in der Vergangenheit vielfach nicht ausreichend nachgekommen ist und die ihm auch zukünftig im Einzelfall schwer fallen dürfte. Damit wird zumindest der Willkür ein Riegel vorgeschoben.

Eine Besoldung je nach Kassenlage wahlweise mit niedrigerer Eingangsbesoldung, Kappung von Weihnachts- und Urlaubsgeld oder Kürzung von Beihilfen, Zulagen oder Pensionen darf es so zukünftig nicht mehr ohne weiteres geben. Zu begrüßen ist daher die Festlegung des BVerfG, dass bei einer Auszehrung der allgemeinen Gehaltsbestandteile durch krankheitsbezogene Aufwendungen eine Korrektur der Besoldungs- und Versorgungsgesetze verfassungsrechtlich geboten sein kann. Gleiches gelte, wenn eine Vielzahl zeitlich gestaffelter, für sich genommen verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Einschnitte des Gesetzgebers im Beihilfebereich das für den sonstigen Lebensunterhalt zur Verfügung stehende Einkommen unangemessen reduzieren („Salami-Taktik“). Auch Kürzungen der Altersversorgung können zu einer Unterschreitung der verfassungsrechtlich gebotenen Alimentation führen.

Trotz einiger Einschränkungen und Konkretisierungen des gesetzgeberischen Ermessens stellt das Gericht den weiten Gestaltungsspielraum von Bund und Ländern bei der Festlegung der Besoldung seiner Bediensteten keineswegs in Frage. Im Gegenteil: „Art. 33 Abs. 5 GG setzt der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers insoweit Grenzen, ohne ein besoldungsrechtliches Homogenitätsgebot zu postulieren.“

Die Richter weisen außerdem ausdrücklich auf die Möglichkeit hin, dass die Dienstherren ihre Beamtinnen und Beamten nach einer Gesamtabwägung oder in Ausnahmefällen auch unterhalb der nunmehr definierten Mindestbesoldung bezahlen können.

Es bleibt insoweit auch festzustellen, dass die Richter lediglich in einem Fall (Sachsen-Anhalt) eine verfassungswidrige Besoldung sahen während sie diese in den beiden anderen Fällen (Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen) für angemessen hielten.

Ungeachtet dessen hat das BVerfG dem Gesetzgeber strenge Maßstäbe für die Festlegung von Besoldung und Versorgung seiner Beamtinnen und Beamten vorgegeben. Die Einhaltung dieser Maßstäbe muss zukünftig genau überwacht werden. Das BVerfG hat außerdem noch über die Verfassungsmäßigkeit der Beamtenbesoldung in NRW (2 BvL 19/09 und 2 BvL 20/09) zu entscheiden.
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