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Bundesverfassungsgericht setzt Maßstäbe zur Amtsangemessenheit der Richterbesoldung, die auch bei der Besoldung für andere Beamtengruppen zu beachten sind

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung am 5.Mai 2015 zu mehreren Vorlagen der Verwaltungsgerichte Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der dortigen Richterbesoldungen insgesamt drei Prüfungsstufen für eine vermutete Unter-Alimentation aufgestellt. In der ersten Prüfungsstufe sind fünf Parameter enthalten, die die Vermutung einer verfassungswidrigen Unter-Alimentation belegen könnten.

Zur Erfüllung der ersten Prüfungsstufe würde es ausreichen, wenn mindestens drei dieser fünf Parameter als erfüllt gelten. Der erste Parameter bezieht sich auf eine deutliche Differenz zwischen der Besoldungsentwicklung und den Tarifergebnissen der Angestellten im Öffentlichen Dienst auf Landes- und Bundesebene. Als deutlich wäre demnach eine Differenz von mindestens 5 Prozent (Indexwert) zwischen den Tarifergebnissen und der Besoldungsanpassung anzusehen.

Ein zweiter Parameter ist die deutliche Abweichung der Besoldungsentwicklung von der Entwicklung des Nominallohnindexes (Geldeinkommen ohne Berücksichtigung von Inflation oder Deflation) im jeweils betroffenen Land. Eine nachweisbare Missachtung des Alimentationsgebotes ist dort dann feststellbar, wenn die Differenz bei Zugrundelegung eines Zeitraumes von 15 Jahren mindestens 5 Prozent des Indexwertes der erhöhten Besoldung beträgt.

Ein dritter Parameter in der ersten Prüfungsstufe ist eine deutliche Abweichung der Besoldungsentwicklung vom Verbraucherpreisindex in dem jeweils betroffenen Land. Ein vierter Parameter ist der systeminterne Besoldungsvergleich, denn aus dem Leistungsgrundsatz in Artikel 33 Absatz 2 GG und dem Alimentationsprinzip folgt ein Abstandsgebot, das es dem Gesetzgeber ungeachtet seines weiteren Gestaltungsspielraumes untersagt, den Abstand zwischen verschiedenen Besoldungsgruppen dauerhaft einzuebnen. Amtsbezogene Gehaltsunterschiede müssen demnach stets erhalten bleiben.

Letztendlich ist der fünfte Parameter im ersten Prüfungsvergleich der Quervergleich mit der Besoldung des Bundes und anderer Länder. Zeigt sich eine erhebliche Gehaltsdifferenz im Vergleich zum Durchschnitt der Bezüge der jeweiligen Besoldungsgruppe im Bund oder in den anderen Ländern, spricht dies dafür, dass die Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion im benachteiligten Bundesland verliert. Dies wäre anzunehmen, wenn das streitgegenständliche
jährliche Bruttoeinkommen einschließlich etwaiger Sonderzahlungen 10 Prozent unter dem Durchschnitt des Bundes und anderer Länder im gleichen Zeitraum festgestellt werden würde. Dies wäre dann ein weiteres Indiz für eine verfassungswidrige Unter-Alimentation. Erst wenn drei der oben genannten fünf Parameter erfüllt sind, besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Unter-Alimentation im ersten Prüfabschnitt.
Diese Vermutung kann dann allerdings im Rahmen einer Gesamtabwägung durch Berücksichtigung weiterer alimentationsrelevanter Kriterien entweder widerlegt oder weiter erhärtet werden, was dann in einer zweiten Prüfungsstufe erfolgt. Dort sind die Kriterien u. a. das Ansehen des Amtes in den Augen der Gesellschaft sowie die vom Amtsinhaber geforderte Ausbildung und Beanspruchung. Ergibt auch hier die Gesamtschau, dass die als unzureichend angegriffene Alimentation grundsätzlich als verfassungswidrige Unter-Alimentation einzustufen ist, bedarf es der Prüfung, ob diese im Ausnahmefall dennoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann. Dies wird dann im Rahmen der sogenannten dritten Prüfungsstufe festzustellen oder zu verneinen sein.

Das Bundesverfassungsgericht verweist in der vorgenannten Entscheidung zwar auf frühere Entscheidungen, wonach das Bemühen der öffentlichen Haushalte, Ausgaben zu sparen, nicht als ausreichende Legitimation für eine Kürzung der Besoldung angesehen werden kann, verweist aber auf den Verfassungsrang des Verbots der Neuverschuldung in Artikel 9 Absatz 3 Satz 1 GG (sogenannte Schuldenbremse). In den Haushaltsjahren 2011 bis 2019 sind die Haushalte aller Länder und des Bundes gemäß Artikel 143 d Absatz 1 Satz 4 GG so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 GG erfüllt wird.


Mit diesem überaus kompliziert zu bedienenden Prüfkonstrukt hat das Bundesverfassungsgericht die Messlatte für eine Unter-Alimentation zwar sehr hoch gelegt, es sollte aber keinesfalls davon ausgegangen werden, dass künftige Klageverfahren von vornherein ausgeschlossen sind. Aus dieser Gesamtsituation heraus hat die Arbeitsgruppe Alimentation und Besoldung im DGB, der Vertreter der GdP, der GEW und Ver.di angehören, beschlossen, die bereits betriebenen und zurzeit ruhenden Musterverfahren erneut aufzurufen und nach dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes per Antrag rechtsfähige Bescheide zu erwirken. Die nachfolgenden Widerspruchsbescheide würden den Eintritt in das Klageverfahren ermöglichen. Von den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes ist jeweils ein Musterkläger benannt und bereits im Verfahren vertreten. Für die Vorbereitung einer substanziellen Klagebegründung hat die o. g. Arbeitsgruppe beschlossen, weitere Schritte vorzubereiten bzw. in Erwägung zu ziehen:

    - eine Erweiterung des bereits vorliegenden sogenannten Battis-Gutachtens zur Alimentation

    - eine Abfrage beim Landesamt für Statistik, ob bestimmte notwendige statistische Angaben für das Klagebegehren von dort zur Verfügung gestellt werden können und

    - eine Anfrage an die Böckler-Stiftung zur Problematik eines sozialwissenschaftlichen Gutachtens zu den aufgeworfenen Fragestellungen des Bundesverfassungsgerichtes.


Da sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung lediglich auf die Richterbesoldung (Besoldungsordnung R) bezog, werden wir unter Umständen gezwungen sein, den Rechtsweg erneut bis hin zum Bundesverfassungsgericht zu beschreiten, um eine mindestens gleichwertige Entscheidung für unsere Beamtinnen und Beamten der Besoldungsordnungen A und B zu erreichen. Sollte es uns nicht gelingen, einen Antrag auf der Grundlage des Artikels 101 GG (Vorlagebeschluss) auf den Weg zu bringen, müssen wir bei einem komplett neuen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mit einer Verfahrensdauer von ca. drei bis fünf Jahren rechnen.
Über den weiteren Fortgang der Angelegenheit werden wir unaufgefordert berichten.
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