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GdP-Bundesvorsitzender Malchow: Wir werden die wehrhafte Demokratie verteidigen

Berlin.

Mit klaren Worten beendete Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), den Festakt des 26. Ordentlichen Bundeskongresses  der GdP im Berliner Estrel. Vor rund 750 Delegierten und zahlreichen Journalisten sowie geladenen Gästen, zu denen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Rainer Maria Kardinal Woelki und Bundesinnenminister Horst Seehofer gehörten, manifestierte der GdP-Chef in einer Rede über den schmalen Grat zwischen gewünschter Freiheit und notwendiger Sicherheit die Grundpositionen der GdP.

Eine wehrhafte Demokratie ohne Platz für spaltende Elemente

„Sicherheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Es trifft auf unterschiedlichste Weise zu Tage und ist heute von größerer Bedeutung als je zuvor“, so Malchow am Montagnachmittag. Es ist zentrale Aufgabe des Staates für diese Sicherheit zu sorgen. Allerdings müsse dabei stets nach sinnvoller und angemessener Umsetzung bei Wahrung der Freiheitsrechte jedes Menschen geschaut werden. Malchow plädierte für einen wehrhaften Staat, der nicht beliebig über seine Bürger verfügen darf. Die Gewerkschaft der Polizei ist eine gesellschaftspolitische Kraft, die sich als Vertreterin einer bürgernahen Polizei und damit als Vertreterin unseres demokratischen Rechtsstaates sieht. In diesem ist kein Platz für spaltende Elemente, Bürgerwehren oder polarisierende Halbwahrheiten: „Wenn wir uns einer weiteren Spaltung der Gesellschaft entgegenstellen wollen, müssen wir uns mit den Ursachen und Folgen der sich ausbreitenden Ungleichheit und Unsicherheit, der immer größer werdenden Schere zwischen arm und reich, auseinandersetzen und möglichst schnell zu Lösungen kommen.“

20.000 zusätzliche Polizistinnen und Polizisten

Malchow machte deutlich, dass es Aufgabe der Politik ist, die Mittel bereitzustellen, um diese wehrhafte Demokratie verteidigen zu können. „Wenn Unrecht nicht mehr verfolgt wird, dann wird der Staat zum Mittäter und diese Mittäterschaft führt kurz oder lang zur inneren Zersetzung der Demokratie. Die Gesellschaft, die Bürgerinnen und Bürger erwarten mit Recht einen handlungsfähigen Staat, der ihnen auch Orientierung gibt“, so Malchow, der deutlich machte,  dass es dabei nicht allein um Schwerstkriminalität geht, sondern bereits die Ahndung von Massendelikten wie Kellereinbrüchen, Fahrraddiebstählen und Graffiti Einfluss auf das Sicherheitsgefühl hat. Dafür seien deutschlandweit zusätzlich mindestens 20.000 zusätzliche Polizistinnen und Polizisten erforderlich. Zudem müsste man in den Bereichen Cybercrime sowie bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus die Sicherheitsbehörden auf den aktuellsten Stand der Technik bringen. Mit Blick auf terroristische Anschläge untermauerte Malchow die abwehrende Haltung zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren.

180 Straftaten am Tag gegen unsere Kolleginnen und Kollegen
Neben dringend benötigten Kolleginnen und Kollegen, untragbaren Überstundenständen und nostalgischer Ausrüstung wies der GdP-Bundesvorsitzender noch auf eine fatale Entwicklung in den letzten Jahren hin. So wurden allein seit 2013 mehr als 332.000 versuchte und vollendete Straftaten gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte verübt, statistisch 180 pro Tag.  „Die Einsatzkräfte können zwar viel ab, aber es nagt schon sehr an der Motivation, wenn der Frust der Bürger sich nicht nur verbal, sondern auch über Respektlosigkeit und Gewalt gegen die Beamten entlädt. Sie werden angegriffen und verletzt nicht nur bei Maßnahmen, die sie vollstrecken müssen, sondern auch völlig ohne Anlass, allein, weil sie dieses Amt im Auftrag von Staat und Gesellschaft ausüben“, so Malchow, der sich abschließend für einen generellen respektvolleren Umgang miteinander aussprach.

Die Rede des GdP-Bundesvorsitzenden Oliver Malchow im Wortlaut (verfügbar auch im GdP-YouTube-Kanal)

"Verehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eben wurde gesagt: Es ist eigentlich alles gesagt. Ich weiß aber nicht, ob das wirklich der Fall ist. Ich möchte noch mal auf unser Motto „Leben in Sicherheit“ Bezug nehmen und reflektieren, wie in den letzten Jahren die Diskussion bei diesem Thema war. Dabei möchte ich herausstellen, welche Rolle die Polizei aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei einnimmt. Wenn wir „Leben in Sicherheit“ als Motto haben, sind wir dann diejenigen, die sagen: „Wir wollen die Freiheit einschränken“? Unser Bild von Freiheit und Sicherheit ist ja oft: Wer mehr Sicherheit will, schränkt die Freiheit ein. Stimmt dieses Bild? Oder übernehmen wir es viel zu häufig viel zu schnell? Darüber möchte ich an dieser Stelle reden.

Ich möchte darüber sprechen, wie gespalten unsere Gesellschaft ist. Welche Zentrifugalkräfte da am Wirken sind, hat der Bundespräsident angesprochen. Ich glaube, es ist eine verunsicherte Gesellschaft, eine, die deswegen vielleicht auch für Parolen und Populisten empfänglich ist. Ich glaube, dass es für uns als Gewerkschaft der Polizei und für alle Polizistinnen und Polizisten eine schwierige Zeit ist, auf der Straße Kurs zu halten, deutlich zu machen, wofür wir stehen, uns nicht in diesen Sog ziehen lassen, sondern deutlich zu machen, was für eine Polizei wir sind und für welche Polizei wir stehen.

Ich glaube, man kann sagen, dass wir in einer der sichersten Nationen der Welt leben. Man kann das auch sagen, weil die Menschen in Deutschland keine Angst vor der Polizei haben müssen. Das ist, glaube ich, der entscheidende Blick: Wie viel Angst müssen Menschen vor staatlichen Repressalien, vor Verfolgung haben? Darauf müssen wir achten.

Wir kennen aber die Diskussion aus den letzten Jahren, zu der wir auch stehen, nämlich zu den Abwehrrechten gegen den Staat. So sind wir alle, die wir bei der Polizei sind, vom ersten Unterrichtstag an sozialisiert. Wir wissen, dass die Polizei als Machtapparat kontrolliert werden muss, ohne Frage, und dass Gerichte oder aber auch die Parlamente das tun. Wir erwarten, dass diese Aufgabe wahrgenommen wird. Aber wir erwarten auch, dass sie ernsthaft betrieben wird und nicht nur ein Schaukampf ist, um dem politischen Gegner eins auszuwischen.

Wir glauben, dass die Kontrolle richtig ist. Ich glaube aber auch, sagen zu müssen, dass wir uns in dieser Gesellschaft endlich mal die Frage stellen müssen, ob die Gefahr für die Freiheit wirklich nur von der Polizei ausgeht oder ob nicht die Gefahr für die Menschen mittlerweile von Menschen ausgeht, die Kriminelle sind, von Terroristen.

Es ist die Frage zu stellen: Ist der alleinige Blick auf die Machtbegrenzung der Polizei richtig, oder haben wir nach jahrzehntelanger Demokratisierung und Sozialisierung nicht eine Polizei, der man vertrauen kann? Gibt es nicht Instrumente, die Kontrolle wirkungsvoll ausüben und Fehlverhalten sanktionieren? Müssen wir uns nicht auch mal auf die Frage konzentrieren, warum Menschen heute Angst haben?

Ob es nun 83 oder 86 Prozent sind, ist eigentlich fast egal. Kein anderer Berufsstand genießt dieses Vertrauen. Man hat dieses Vertrauen gegenüber einer Institution, gegenüber vielen, vielen Hunderttausend Menschen, die Machtbefugnisse haben. Ihnen mit einer so hohen Unterstützung das Vertrauen auszusprechen, ist ein riesiger Wert dieser Gesellschaft. Das hat mit dem zu tun, was wir als Gewerkschaft der Polizei über 70 Jahre an Demokratisierungsprozessen und einer Entwicklung zu einer rechtsstaatlichen Polizei immer auf unserer Agenda gehabt haben. Es war ein langer, langer Weg.

Ich finde, man muss stolz darauf sein, in einem solchen Staat leben zu können und solche Machtinstitutionen zu haben, die man aber auch kontrollieren kann und richtig kontrolliert.

Wenn man diesen Weg mitgeht, ohne die Kontrolle aufzugeben, ist man auch bereit, sich die Frage zu stellen, warum Menschen ängstlich sind. Wir haben ja eben gehört: Die Kriminalstatistik ist so gut wie noch nie. Wir tun so, als wenn dies die objektive Sicherheitslage wäre. Die gefühlte Sicherheitslage hat etwas mit Bauchgefühl und anderen Dingen zu tun. Aber eigentlich wissen wir doch alle, dass die Kriminalstatistik, die wir führen, eine Arbeitsgrundlage ist, aber nicht die objektive Kriminalität widerspiegelt.

Objektive Kriminalität würde doch bedeuten, wir wüssten, wie viel Kriminalität es gibt. Aber wir wissen von Dunkelfeldern. Wenn wir von Dunkelfeldern wissen, dann wissen wir auch, dass wir sie in unserer polizeilichen Kriminalstatistik nicht abgebildet haben.

Wenn wir wissen, dass wir wegen neuer Kriminalitätsformen weitere Kompetenzen in die Polizei hineinbekommen müssen, weil uns die Kompetenz zur wirkungsvollen Bekämpfung schwerster Cyberkriminalität noch fehlt – Sie sprachen auf Ihrer BKA-Herbsttagung über Kompetenzen in diesen Bereichen –, wenn das so ist, dann wissen wir, dass auch in diesem Feld jede Menge von Kriminalität stattfindet, die wir aber nicht registrieren, jedenfalls nicht in der Kriminalstatistik. Deswegen können wir nicht sagen, dass objektiv doch alles viel sicherer geworden ist.

Ja, es ist richtig: Wir reden nicht nur über Fakten, indem wir diese Zahlen bringen und meinen, wir würden die Menschen beruhigen. Da kommt man bei dieser Gefühlslage sowieso nicht heran. Ich glaube aber, dass es schon dazugehört, dass in einem Land, in dem die Polizei so demokratisch ist, die Menschen sich auch frei fühlen können müssen, und zwar frei von Angst, Opfer von Kriminalität, von kriminellem Verhalten zu werden. Der Blick auf die Opfer ist das Entscheidende.

Es geht also darum, nicht nur über eine Kennzeichnungspflicht und die Kontrolle der Polizei zu diskutieren. Es geht darum, nicht nur über Polizeibeauftragte zu diskutieren, um die Polizei in Schach zu halten, sondern auch darüber zu diskutieren, was hier in der Gesellschaft los ist und wo das eigentlich hinführt.

Wir haben vorhin gehört, dass Köln der Wendepunkt war. Ja, Köln war der Wendepunkt, allerdings aus meiner Sicht nicht wegen der schlimmen Ereignisse, die dort geschehen sind. Die schlimmen Ereignisse waren nicht der Grund dafür, sich politisch neu auf diese Dinge einzustellen und über Ausrüstung, Ausstattung und Personalzahlen nachzudenken. Zu der neuen politischen Betrachtungsweise kam es, weil es danach drei Landtagswahlen gegeben hat und eine neue Partei in die Parlamente eingezogen ist.

Das hat die Polizei dazu bewogen, neu nachzudenken. Ich finde das total bitter, weil ich denke, dass diese Reaktionsmuster für eine Gesellschaft nicht gut sind. Denn dem, was schon seit vielen Jahren in eine Richtung läuft, können wir nicht so schnell begegnen. Wir müssen aber schauen, wie wir es mit den bestehenden Kräften und angesichts 22 Millionen Überstunden überhaupt versuchen. Dabei will ich anmerken, dass wir als Gewerkschaft der Polizei auch den Arbeitsschutz im Hinterkopf haben und solche Belastungen kritisch sehen. Das Thema Burn-out ist schon angesprochen worden. Ich denke, wir werden noch etliche Spätfolgen in der Kollegenschaft wahrnehmen.

Nein, es geht auch um die Frage, wohin wir uns entwickeln und in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Deswegen tragen wir solche Belastungen, denen unsere Kolleginnen und Kollegen tagtäglich ausgeliefert sind, auch mit. Wir unterstützen sie; in dem Film eben konnten Sie sehen, was wir unter Einsatzbetreuung verstehen.

Natürlich legen wir auch den Finger in die Wunde und fordern Entlastung. Aber wir sagen ihnen nicht: Lasst es sein. – Denn es ist viel zu wichtig, das Thema „Innere Sicherheit“ zu bearbeiten. Darüber hinaus rührt das große Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger – ob es 83, 86 oder noch mehr Prozent sind, sei dahingestellt – in die Polizei daraus, dass sie wissen, dass sie sich auf die Polizei verlassen können. Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen rechtsstaatlich handeln, und sie wissen, wo unsere Kolleginnen und Kollegen an ihre eigenen Grenzen stoßen.

Lange Bearbeitungszeiten im Strafverfahren oder das Erreichen des Tatorts – Beispiel: Wohnungseinbruch – erst einen Tag später zwecks Spurensicherung legen die Betroffenen nicht unseren Kolleginnen und Kollegen zur Last, sondern es wird an die adressiert, die dafür verantwortlich sind, nämlich an die politischen Verantwortlichen, die in den letzten 20 Jahren fast 16.000 Stellen für Vollzugsbeamte abgebaut haben. Also, unsere begrenzte Leistungsfähigkeit ist immer noch sehr gut, und diese Begrenzung wird uns nicht zum Vorwurf gemacht, sondern man spricht uns immer noch großes Vertrauen aus.

Das heißt, die Gesellschaft will einen handlungsfähigen Staat. Für sie ist Handlungsfähigkeit des Staates in der Krise wichtig. Was 2015 während der Flüchtlingskrise sozusagen aus dem Nichts heraus vonseiten des Staates geleistet worden ist, war unglaublich. Das war wirklich irre. Natürlich ist auch vieles schiefgelaufen, aber entscheidend ist doch, was hier von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen geleistet worden ist. Wir haben ein gesellschaftliches Engagement erlebt, auf das wir alle nur stolz sein können.

Der Wert eines funktionierenden Staates ist erkannt worden, und nur darum geht es. Es hieß nicht: Andere können es besser, billiger, schneller, und die Faulen sollen mal nach Hause gehen. – Nein, man hat erkannt, dass es um genau die Institutionen geht, die für das Funktionieren eines Staates wichtig sind. Und das erwarten die Menschen. Sie wissen, dass die Gewährleistung der inneren Sicherheit Kernaufgabe des Staates ist.

Staatssekretär Schmachtenberg – er ist heute leider nicht anwesend – hat uns vor Kurzem zu einem Gespräch über das Opferentschädigungsgesetz eingeladen. Also, der Staat weiß selbst, dass er, wenn er die Bürgerinnen und Bürger schon nicht vor Gewalttaten schützen kann, sie zumindest finanziell entschädigen muss. Mit diesem Opferentschädigungsgesetz drückt der Staat genau das aus, was wir immer sagen: Es ist Kernaufgabe des Staates, für die innere Sicherheit zu sorgen. Das heißt, er muss genügend Kräfte organisieren, die das in demokratischer und rechtstaatlicher Art und Weise können. Das erkennt der Staat selbst an. Er sagt: Wenn wir das nicht sicherstellen können, dann wollen wir diejenigen, die Opfer von Gewalttaten geworden sind, wenigstens finanziell entschädigen.

Genau das ist das Prinzip, dem die Menschen vertrauen. Und deshalb sagen sie: Nur im Rahmen von Notwehr verteidigen wir uns selbst. Sonst ist der Staat dafür da. – Dann können sie auch zu Recht erwarten, dass ihnen der Staat hilft.

Wir wissen, dass nicht nur Aufklärungsquoten entscheidend sind. Vielmehr wissen wir auch, dass polizeiliche Sichtbarkeit im Raum bedeutsam ist. Wir wissen, dass Kompetenz bei Anzeigenaufnahmen wichtig ist. All das wissen wir, und deswegen sagen wir, dass wir 20.000 zusätzliche Kolleginnen und Kollegen brauchen.

Auf 15.000 hat man sich im Koalitionsvertrag auf Bundesebene und auf Länderebene verständigt. Dann muss ich mir oft anhören: Seien Sie doch mal zufrieden. – Denn alle glauben, dass die 15.000 schon da seien. So schnell geht es aber nicht. Wir haben in 2017, in 2018 und werden in 2019 jeweils 15.000 Kräfte zusätzlich zu den eigenen Planungen einstellen. Also, 2021 stehen sie noch nicht zur Verfügung. Denn wer 2019 eingestellt wird, braucht mindestens bis 2022, bis er auf der Straße oder in den Ermittlungsbereichen eingesetzt werden kann. Dann sind es zwar 45.000 Kolleginnen und Kollegen mehr, aber in der Zwischenzeit verlassen auch 44.000 Kolleginnen und Kollegen die Polizei. Das heißt, im Endeffekt kommt es gar nicht zu einer Personalmehrung. Die Zahlen werden nur hochgefahren, weil man sie vorher runtergefahren hat. Wenn das zutrifft, was ich sage, dass wir also frühestens in acht Jahren flächendeckend tatsächlich mehr Leute haben, frage ich mich, ob die Kolleginnen und Kollegen so lange durchhalten müssen. Und schaffen sie es überhaupt? Ich weiß nicht, ob sie es ertragen können.

Auf jeden Fall wissen wir, dass es noch viel zu tun gibt. Ich wollte es bloß ansprechen, weil ich mir oft anhören muss: Euch geht es doch gut. So viel Zuspruch wie ihr bekommt sonst keine Organisation. Jetzt seid mal ruhig! – Die Mathematik ist an der Stelle doch gar nicht so schwierig.

Ja, wir haben Vollzugsdefizite. Regeln gibt es in der Regel relativ viele, und so viele wollen wir auch gar nicht, abgesehen von denen, die wir uns im Musterpolizeigesetz oder in den Länderpolizeigesetzen wünschen würden. Wir würden uns dort Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr wünschen, wie es sie schon im strafrechtlichen Bereich gibt. Es geht jedenfalls meiner Meinung nach nicht darum, neue Regeln zu fordern. Vielmehr haben wir, glaube ich, tatsächlich ein Vollzugsdefizit, und das merken die Menschen auch. Wenn Regelverstöße nicht mehr geahndet werden, stellt man sich doch irgendwann einmal die Frage, warum man selbst der Dumme ist, wenn man sich an Regeln hält. Warum wartet man an der Ampel, bis sie grün ist, und kommt deshalb zu spät oder verpasst den Zug? Schließlich laufen die anderen doch auch bei Rot über die Straße.

Wenn sich niemand mehr an Regeln hält, bricht die Gesellschaft weg. Das ist nur ein kleines Beispiel, zeigt aber, dass wir Vollzugsdefizite haben, dass Regelverstöße nicht immer geahndet werden. Das gilt übrigens auch für den Bereich der Wirtschaftskriminalität oder organisierten Kriminalität, in dem wir viel zu wenige Leute einsetzen, um wirklich gut zu sein.

Man könnte sich ja einmal die Frage stellen, wer diese Fahrverbote kontrollieren soll. Wo sollen die Leute herkommen? Fehlen die nicht am Ende an den Stellen, die ich eben aufgezählt habe? Wir führen doch manchmal eine Diskussion, die an der Realität der Menschen vorbeigeht.

Ich rede nicht gegen Fahrverbote. Ich bin auch nicht gegen die Umwelt. Die Frage ist aber doch: Was hat man über Jahre versäumt? Das ist doch nicht vom Himmel gefallen. Und welche Schwerpunkte werden gesetzt? Wir kennen es schon fast als lange Tradition, dass wir als Polizei mit Aufgaben im Bereich der Ordnungswidrigkeiten betraut wurden, damit wir ordentlich zu tun haben, und so nicht genügend Kräfte in Bereichen einsetzen konnten, die gesellschaftlich bedeutsam sind. Insofern müssen wir, glaube ich, schon schauen, was Sache ist.

Wir dürfen nicht immer nur über Reformen nachdenken und glauben, irgendwann sei es schon so weit. Ich werde manchmal gefragt: „Nun sagen Sie mir doch mal, Herr Malchow, welche Aufgaben Sie abgeben können.“ Wenn mir diese Frage in den letzten zehn Jahren gestellt worden ist, habe ich immer angeführt, welche Aufgaben es zusätzlich gegeben hat.

Das einzige andere Beispiel sind die Gefahrguttransporte. Die werden jetzt auch durch Private kontrolliert. Die Privaten würden sicherlich noch andere Dinge übernehmen. Aber insgesamt ist es doch nicht viel, bei dem man sagen kann, dass die Polizei eine Entlastung bekommt. Es ist aber doch so einiges oben drauf gekommen.

Wenn ich über Sicherheit rede, dann will ich nicht nur über den gesellschaftlichen Part – die Bürgerinnen und Bürger –, sondern auch darüber reden, wie es unseren Kolleginnen und Kollegen geht. Ich glaube, die erwarten, dass wir über Arbeitsschutz sprechen, dass sie gut ausgestattet in schwierige Einsätze gehen müssen, dass sie Rückhalt bei ihren Vorgesetzten, aber auch bei politisch Verantwortlichen haben. Natürlich kann jeder Einsatz kritisch, auch in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, kontrolliert werden – wenn es tatsächlich um die Aufarbeitung von Fehlverhalten geht, sogar gerne.

Nur könnte es sein, dass wir unter den 17 oder 14 Prozent, die uns nicht das Vertrauen aussprechen, auch diejenigen haben, die Gewalt gegen uns fördern. Reiner, ich bin froh, dass wir innerhalb des DGB die Diskussion um das Thema „Gewalt im öffentlichen Dienst“ – auch mit den entsprechenden Veranstaltungen – geführt haben. Das ist ja nicht nur ein Problem, das die Polizei erlebt. Das ist ein Problem, das auch viele Kolleginnen und Kollegen, viele Mitglieder der Einzelgewerkschaften, erleben. Insofern bin ich wirklich froh, dass wir an dieser Stelle nicht alleine sind, sondern den Weg gemeinsam gehen können.

Wir haben schon vor über sieben Jahren auf das Thema „Gewalt gegen Polizeibeamte“ aufmerksam gemacht. Wir haben Kampagnen wie „Auch Mensch“ geführt, um deutlich zu machen, dass etwas schiefläuft. Aber wenn wir das thematisiert haben, ist uns häufig entgegengehalten worden: „Jammert mal nicht rum! Das ist doch euer Berufsrisiko!“ Ich habe dann immer gesagt, dass wir nicht rumjammern und schon wissen, was ein harter Einsatz ist. Das ist jedem Polizisten, der mit seiner Ausbildung fertig ist, relativ zügig klar. Wir jammern also nicht rum, sondern sagen, dass wir eine gesellschaftliche Entwicklung aufzeigen. Wir fragen deutlich: Wenn sogar diejenigen, die im Umgang mit Gewalt ausgebildet und entsprechend gegen Gewalt ausgestattet sind, angegriffen werden, was ist dann mit denjenigen, die keine solche Ausbildung und Ausstattung haben, die nicht zu zweit oder mehreren, sondern allein unterwegs sind? Was ist eigentlich los in dieser Gesellschaft?

Wir mussten also Sprüche wie „Jammert nicht rum!“, „Macht eure Arbeit!“, „Das ist euer Berufsrisiko!“ oder „Augen auf bei der Berufswahl!“ hören. Aber darum ging es uns überhaupt nicht. Es ging uns darum – und die, die die Kampagne damals mitgestartet haben, wissen das –, deutlich zu machen, was gesellschaftlich relevant ist, was an neuer Aggressivität da ist.

Im letzten Jahr haben wir die Veränderung im Strafrecht bekommen. Das ist gut. Wir wissen aber auch, dass viele Kollegen diese Veränderung gar nicht mitbekommen haben. So viele Anzeigen nach § 114 StGB – tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte – gibt es gar nicht. Nun könnte man Kritikern sagen: Seht ihr? Wir haben doch gesagt, wir werden damit vorsichtig umgehen und diese neue Macht nicht ausnutzen. Und das tun wir auch – zum Beispiel, indem wir gar nicht darauf hinweisen, dass nach § 113 StGB – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – höher bestraft werden kann und dass auch insofern eine Anzeige erfolgen könnte. Wir gehen mit dem neuen Recht also schon ordentlich um.

Aber was bedeutet das eigentlich? Wir haben eine andere Einsatzphilosophie. Einsatztrainings werden anders konzipiert. Die Sachausstattung ist eine andere. Wir reden dabei nicht über den Einsatz der Bereitschaftspolizeien. Da gibt es ja auch ein paar Veränderungsmaßnahmen; da bereitet man sich auf diese krisenhaften Einsätze vor. Wir reden über denjenigen, der im Streifwagen sitzt oder der als Ermittler im öffentlichen Raum unterwegs ist. Wie schützt der sich eigentlich?

Wir haben also einiges gemacht. Neue Führungs- und Einsatzmittel werden geschaffen – wenn auch nicht überall, weswegen wir auch an dem Thema dranbleiben müssen. Es geht um die Frage der Ausstattung. Ich habe dazu einmal gesagt: Diese neue Schutzausstattung – von Bodycam über Schutzweste und dunkle Uniform bis zur schicken Brille – macht auch etwas aus. Das ist nicht mehr die Polizei in Oestergaard-Grün und Senfhemd. Der Polizist sieht heute anders aus.

Ernst, ich weiß nicht, wo du sitzt, aber du hattest mir damals gesagt, die Veränderung der Uniform werde auch unser Image verändern. Du hattest vollkommen Recht. Die Frage ist aber auch heute, wie wir auftreten. Können wir so, wie wir heute auftreten, wie wir unsere Schutzausrüstung tragen, weiterhin das Bild von Bürgerpolizei liefern oder nicht? Dafür stehen wir als Gewerkschaft der Polizei: Wir sind für veränderte Schutzausstattung. Dafür sind wir schon im Sinne des Arbeitsschutzes für unsere Kolleginnen und Kollegen. Wir sind aber auch dafür, dass das Bild des Bürgerpolizisten erhalten bleibt – trotz der heute anderen Ansprache, trotz der größeren Distanz gegenüber Bürgerinnen und Bürgern.

Eines möchte ich an dieser Stelle noch sagen. Vor dem Delegiertentag in Nordrhein-Westfalen habe ich den Einsatz von Handgranaten und Maschinengewehren bei der Polizei äußerst stark kritisiert. Dazu haben Kollegen von der Kreisgruppe Münster gesagt, ich habe Recht, so gehe das nicht, wir müssten einmal miteinander sprechen. Darüber haben wir dann, als die Kollegen dann bei mir waren, auch gesprochen – aber eben auch über das, was ich davor angesprochen hatte. Wir müssen nämlich alles auch unter der Fragestellung diskutieren, ob es uns auch unter den heutigen Rahmenbedingungen gelingt, Bürgerpolizei zu sein, und zwar nicht nur aus unserer Sicht, sondern auch aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger. Da haben junge Kollegen zu mir gesagt: „Ich bin noch gar nicht so lange bei der Polizei. Ich trage von Anfang an die neue Uniform und die neue Schutzausstattung. Und ich habe ein richtig gutes Verhältnis zum Bürger. Kein Bürger, der mir gegenübertritt, hat Angst. Die Bürger erkennen das an.“ Auch wenn ich das damals gar nicht so gesagt haben, fand ich es total stark, dass die Kollegen das so formuliert haben. Sie waren sich bewusst, wie sie wirken. Sie wussten, dass sie durch die richtige Ansprache, Mimik und Gestik das Vertrauen weiter hochhalten können. Das, so finde ich, ist genau das, was für unsere Kolleginnen und Kollegen spricht: Die Reflexion unserer Aufgabe.

Nun noch zwei Punkte zum Schluss. Weil wir so gut sind, weil wir so gut bleiben wollen und weil wir dieses Bild von Rechtsstaatlichkeit und demokratisierter Polizei weiter vor uns hertragen werden, wollen wir weiterhin strenge Auswahlverfahren und hochqualifizierte Ausbildung. Das wollen wir. Wir sagen nicht: Stecke jemanden in Uniform und das klappt schon. Das ist nicht unser Bild von Polizei.

Wir können diese hohen Anforderungen und die 83 oder 86 Prozent nur erfüllen, wenn wir so gut weitermachen, wie das bis jetzt der Fall ist. Es gibt nicht nur Schwierigkeiten in der Personalrekrutierung. Insofern muss die Qualität auf einem hohen Niveau bleiben. Wir wollen weiterhin eine gut ausgebildete Polizei.

Ich komme jetzt zu meinem letzten Punkt, der mir sehr wichtig ist. Es fällt mir aber auch schwer, dies hier anzusprechen. Ich habe am Anfang davon gesprochen, dass man sich in Deutschland eigentlich nicht so viele Gedanken über den Machtmissbrauch der Polizei machen muss. Vielmehr muss man auch gucken, was es in der Gesellschaft noch gibt und was die Bürgerinnen und Bürger dort beeinflusst. Insofern ist der Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 17. November 2018 einer, der mir nicht nur nicht passt, sondern der mir wirklich stinkt.

Dieser Artikel hat mir die Vorbereitung auf diesen Festakt – ich war wirklich stolz auf die Festredner und auf das Thema „Wir stehen für Rechtsstaatlichkeit“ – sehr schwer gemacht. Ein Funktionär aus einer Organisation soll nämlich gesagt haben, dass man mit Flüchtlingen im Grunde genommen ähnlich hätte umgehen können wie mit den Wölfen, die in die Lausitz eingedrungen sind, nämlich die ersten beiden erlegen, und dann erledigt sich das andere.

Ich sage ganz offiziell, dass es mir äußerst leidtut, dass ein Funktionär dieser Organisation diesen Satz möglicherweise gesagt hat. Mir fällt es schwer, bei diesem Festakt über so etwas zu reden. Aber ich halte es nicht aus, solche Äußerungen für die GdP stehen zu lassen. Ich akzeptiere diese Verhaltensweise nicht.

Ich akzeptiere diese Äußerung nicht. Sie zeigt deutlich, welche innere Einstellung jemand gegenüber Menschen hat. Wir haben unsere Werte in unserer Satzung klar formuliert. Die halten wir hoch, und die gilt. Wer diese Werte nicht akzeptiert, der kann nicht Mitglied dieser Organisation sein.

Wir als Gewerkschaft der Polizei stehen für eine Bürgerpolizei, für eine Polizei, bei der sich die Bürgerinnen und Bürger nicht ängstigen müssen, sondern bei der sie wissen: Wenn sie einschreitet, dann geschieht dies nach demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen. Für eine solche Polizei stehen wir, für keine andere.
Ich danke für die Aufmerksamkeit."
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