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DEUTSCHE POLIZEI - Dezember 2018

Arbeitsschutz - Branche „Polizei" im Wandel – Wie steht es um Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten?

Von Angelika Hauke und Ina Neitzner

Die Anforderungen an die Polizei sind in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Die größten zusätzlichen Aufgaben sind aktuell und wohl auch künftig die Bekämpfung von Cyberkriminalität und Terrorismus. Im selben Zeitraum ist die Personaldecke nur geringfügig gewachsen. Es besteht ein Fachkräftemangel, der auch durch den demografischen Wandel ausgelöst wurde. Zugleich konkurrieren Arbeitgeber um Bewerberinnen und Bewerber. Die Konsequenz: eine hohe psychische und physische Beanspruchung des vorhandenen Personals durch Arbeitsverdichtung, Ausweitung von Verantwortlichkeiten und Überstunden. Ziel ist es, auch künftig Sicherheit und Gesundheit in der Polizeiarbeit durch geeignete Präventionsmaßnahmen zu gewährleisten. Das folgende Branchenbild liefert wichtige Hinweise für mögliche Maßnahmen in verschiedenen Instanzen.

Zeitmangel ist ein grundsätzliches Problem. Zahlen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) belegen, dass die Polizei in Deutschland 2016 rund 22 Millionen Überstunden geleistet hat. Dies entspricht der Arbeitskraft von 9.000 Polizistinnen und Polizisten der Länder und 900 der Bundespolizei pro Jahr. Drei Millionen Überstunden entfielen davon allein auf Nordrhein-Westfalen (NRW). Damit lag das Bundesland über dem Bundesdurchschnitt. Dies sei eine Konsequenz der Silvesternacht 2015/2016, da in Folge der Vorfälle mehr Personal für Einsätze verplant wurde als zuvor. Aufgrund der starken Arbeitsverdichtung berichten Polizistinnen und Polizisten, dass sie aus Zeitmangel nicht an Fortbildungen und/oder am Dienstsport teilnehmen können. Dadurch werden zum Beispiel Eigensicherungs- und Festnahmetechniken sowie Entscheidungen über Schießen/Nichtschießen nicht häufig genug eingeübt, um routiniert und automatisiert abzulaufen.

Fehlende Zeit und zu knappe Budgets sind auch die Ursache für die zunehmende Praxis der Polizei, private Unternehmen sogar mit hoheitlichen Aufgaben, auch in sensiblen Bereichen, zu betrauen. Die Gewährleistung der Sicherheit der Gesellschaft – eine ureigene Aufgabe der Polizei – wird damit in Teilen aufs Spiel gesetzt.

Gründe für die gestiegenen polizeilichen Anforderungen sind die geänderte Sicherheitslage mit der akuten Terrorismus-Bedrohung, eine zunehmende Gewalt- und Cyberkriminalität, die verstärkte Zuwanderung von Geflüchteten und eine Ausbreitung extremistischer und/oder verfassungsfeindlicher Gruppierungen wie die der sogenannten Reichsbürger oder der „Selbstverwalter“. Zudem erfordern politische, sportliche oder kulturelle Großevents aufgrund erhöhter Terrorgefahr und einer wachsenden Anzahl Gewaltbereiter eine deutlich verstärkte Absicherung.

Zur Bewältigung all dieser Aufgaben arbeiteten in Deutschland 2016 etwa 260.000 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte (PVB), davon 220.000 in den Länderpolizeien, 35.000 (inklusive Anwärterstellen) in der Bundespolizei und 3.000 Kriminalbeamtinnen und -beamten im Bundeskriminalamt (BKA). Zudem gab es knapp 40.000 Angestellte im Polizeidienst bei der Bundespolizei, im BKA und innerhalb der Länderpolizeien einschließlich der Landeskriminalämter.

Die Polizeidichte ist im dünner bevölkerten Osten mit 308 Polizistinnen und Polizisten pro 100.000 Einwohner deutlich höher als im dichtbesiedelten Westen mit 250. Während Berlin 2016 einen Spitzenwert von 473 Polizistinnen und Polizisten aufweisen konnte, bildete NRW als das am dichtesten besiedelte Bundesland das Schlusslicht mit weniger als 224 Polizistinnen und Polizisten. Die höchsten Anteile von Angestellten im Polizeidienst gibt es in Berlin (17,5 Prozent), bei der Bundespolizei (15,6 Prozent), in Hessen (15,2 Prozent), in Sachsen (14,8 Prozent) und in Niedersachsen (14,4 Prozent).

Die seit Jahren bestehende knappe Personaldichte fördert bei den Polizistinnen und Polizisten das Gefühl fehlender Wertschätzung und Anerkennung ihrer Arbeit. Sie fühlen sich von ihrer Behörde und der Politik allein gelassen. Und auch die Gesundheit leidet: 39 Prozent der in Berlin befragten Polizistinnen und Polizisten halten es für sehr wahrscheinlich oder wahrscheinlich, dass sie aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden müssen. Mehr als drei Viertel der Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten in der Bundespolizei bewerteten den dienstlichen Belastungsgrad bereits 2010 als sehr hoch oder hoch.
Viele Faktoren, die zu den Belastungen der Beschäftigten in der Branche Polizei führen können, entziehen sich folglich dem gesetzlichen Zugriff der Unfallversicherung. Diese kann jedoch beispielsweise durch Beratung, Information und fachlichen Austausch im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf die politisch zuständigen Instanzen einwirken.

Tabelle 1 zeigt, welche Trends und Entwicklungen die Branche „Polizei“ hinsichtlich des Arbeitsschutzes in der nahen Zukunft beeinflussen werden. Diese Einschätzungen wurden im Rahmen des Risikoobservatoriums der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) erhoben und stammen von Aufsichtspersonen und anderen Präventionsfachleuten der gesetzlichen Unfallversicherung.


Tabelle 1: Rangreihung der bedeutsamsten Entwicklungen im Hinblick auf den Arbeitsschutz der nahen Zukunft in der Branche „Polizei“ als Ergebnis der Befragungsstufe 2 des Risikoobservatoriums der DGUV, 2017

Wenn auch Beamtinnen und Beamte bei Arbeits- und Wegeunfällen sowie arbeitsbedingten Erkrankungen keinen Anspruch auf Leistungen von den Unfallversicherungsträgern haben, sind sie laut Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), Paragraf 2, dennoch bei der Entwicklung von Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen bei der Arbeit und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren einschließlich Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit zu berücksichtigen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich deshalb auch und immer wieder auf die Gruppe der Verbeamteten, insbesondere, wenn konkrete Zahlen zum Beleg von Entwicklungen vor allem für diese Beschäftigten vorliegen.

Einige der Entwicklungen wie das Erleben körperlicher Gewalt, Verwicklung in terroristische Anschläge oder Ansteckungsgefahr durch Migration von Krankheitserregern betreffen in einem stärkeren Ausmaß PVB im Außendienst als Angestellte im Polizeiinnendienst. Dennoch ist eine direkte Betroffenheit bei Angestellten mit Bürgerkontakt nicht auszuschließen. Zudem ergibt sich beispielsweise durch eine höhere Gewaltbereitschaft gegen Polizistinnen und Polizisten, verstärkte Terrorbekämpfung und stark ansteigende Cyberkriminalität bei einer ohnehin zu knapp bemessenen Personaldichte auch für Angestellte im Polizeidienst ein teils erheblicher Mehraufwand durch Ermittlungs- und Verwaltungsarbeit. Angestellte im Polizeidienst identifizieren sich genauso wie PVB mit ihrem Arbeitgeber und bilden sich daher ebenfalls eine Meinung zum Grad der Wertschätzung, die Politik und Gesellschaft der Institution Polizei entgegenbringen. Dies kann die Motivation und Zufriedenheit mit dem Beruf erheblich beeinflussen. Lob und Dankbarkeit stellen – besonders in helfenden Berufen – eine wichtige Ressource für Beschäftigte dar.

Neue berufliche Anforderungen

Viele Aufgaben, welche die Polizei akut zu bewältigen hat, sind neu, zeitintensiv und fordernd. Die Cyberkriminalität steigt stark an: Digitale Schwarzmärkte finden sich im Clear-, Deep- und Darknet. Illegale Markplätze offerieren zum Beispiel Drogen, Waffen, Falschgeld, gefälschte Ausweise sowie Markenartikel, Kreditkartendaten und Kinderpornografie. Zudem wird mit Software gehandelt (Cybercrime as a service), mit deren Hilfe auch Laien Cyber-Straftaten begehen können, unter anderem durch die Bereitstellung sogenannter Botnetze oder Ransomware.

Die Hälfte (49 Prozent) aller Internetnutzer in Deutschland wurde in den vergangenen 12 Monaten Opfer von Cyberkriminalität so auch jedes fünfte mittelständische Unternehmen (19 Prozent) im Jahr 2016. 43 Prozent aller Internetnutzer in Deutschland berichteten eine Infizierung ihres Computers mit Malware, bei 19 Prozent wurden Zugangsdaten zu Onlinediensten gestohlen, 18 Prozent gaben an, dass ihre persönlichen Daten illegal genutzt wurden, 16 Prozent wurden beim Online-Shopping oder Online-Banking betrogen, 8 Prozent massiv beleidigt und 5 Prozent sexuell belästigt. Bei 54 Prozent der Opfer von Cyberkriminalität entstand ein finanzieller Schaden.

Aufgrund der relativ geringen Anzahl von Computer- und Internetkriminalisten („Cybercops“), die aktuell dem kriminellen Potenzial im Netz gegenüberstehen, sucht die Polizei mehr IT-Spezialisten. Aufgabe der Cybercops ist es, beispielsweise das Internet nach verfassungsfeindlichen Seiten, Hass-Postings und kinderpornografischen Inhalten zu durchsuchen und deren Entfernung durchzusetzen.

Veränderte Sicherheitslage
Die Terrorismusbekämpfung gewinnt weiter an Gewicht. Extremistische Gruppierungen in Deutschland verbuchen in den vergangenen Jahren deutliche Zuwächse, ob Salafisten, Rechtsextremisten und Linksextremisten oder die verfassungsfeindlichen „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“. Auch die Zahl der als Gefährder eingestuften Personen nimmt seit Jahren zu.

Trotz der Anstrengungen der Polizeien auf nationaler und internationaler Ebene und verschiedener Erfolge bei der Terrorabwehr gelang es in der Vergangenheit nicht, alle Terroranschläge in Deutschland zu verhindern.

Auswirkungen der Flüchtlingskrise
Seit 2006 nahm die Zahl der Asylbewerber in Deutschland stetig zu – von 30.100 (2006) bis zu einem Spitzenwert von 745.545 im Jahr 2016. Mit der Einreise von über einer Million Migranten und Schutzsuchenden nach Deutschland in den Jahren 2015 und 2016 erlebte auch die Polizei eine extrem herausfordernde Situation. Danach sank die Zahl der Asylsuchenden auf das Niveau von 2014. Im ersten Halbjahr 2018 gingen die Zahlen weiter zurück. Zur Registrierung der Einwanderer und zur Eindämmung der illegalen Einreise führte Deutschland 2015 wieder Kontrollen an allen Binnengrenzen ein. Aktuell im Fokus steht immer noch die deutsch-österreichische Grenze, weitere Grenzorte gewinnen jedoch an bundespolizeilicher Bedeutung.

Der verstärkte Grenzschutz führte bei der Bundespolizei innerhalb kürzester Zeit zur Anhäufung von Überstunden. Mehrarbeit für die Länderpolizeien entstand unter anderem durch den Schutz von Flüchtlingsheimen. Dieser wurde vermehrt nötig, da die Zahl der Attacken auf Asylunterkünfte von 2014 auf 2015 von 199 auf 1.005 stieg, also um das Fünffache. 2016 blieb die Zahl etwa so hoch.
Danach ging die Häufigkeit der Attacken wieder deutlich zurück. Die Länderpolizeien greifen auch ein, wenn es zu Auseinandersetzungen zwischen Geflüchteten kommt. Infolge des starken Flüchtlingszustroms stieg – besonders in den Jahren 2015 und 2016 – der Verwaltungsaufwand hinsichtlich der Registrierung von Asylbewerbern, der Einleitung von Ermittlungen wegen illegaler Grenzübertritte und Strafverfahren wegen Angriffen auf Asylunterkünfte. Aufgrund der deutlichen Abschwächung des Zustroms Geflüchteter nach Deutschland, verbleibt aktuell vor allem die Mehrbelastung durch die Sicherung von Grenzübergängen.

Strukturelle, demografische, gesellschaftliche Bedingungen der Polizeiarbeit
Verschiedene Fakten führen aktuell zu einem Mangel an Polizistinnen und Polizisten in Deutschland: Allein zwischen 1998 und 2010 kam es in den Länderpolizeien zu einem Abbau von circa 10.000 Stellen: zum Beispiel in NRW 3.252 (-7,0 Prozent), in Berlin 2.905 (-14,1 Prozent) und in Sachsen-Anhalt 1.158 (-13,2 Prozent). Inzwischen vollzieht sich jedoch eine Trendwende; viele Bundesländer streben eine Personalaufstockung an, und auch im Bund ist ein erheblicher Stellenzuwachs in Gang gesetzt worden.

Problematisch ist allerdings, dass die Anzahl der neugeschaffenen Stellen immer noch nicht ausreicht, um den neuen und alten Anforderungen des Polizeiberufs gerecht zu werden – zumal teils rückläufige Bewerbungszahlen eine qualifizierte Auswahl erschweren. Sie reichen zudem lange nicht in allen Bundesländern aus, um die Zahl der Pensionäre zu kompensieren, da bereits in den letzten Jahren eine Pensionierungswelle begann. 2017 waren 45,3 Prozent der Beschäftigten in Polizei und Justiz über 50 Jahre alt. Polizistinnen und Polizisten verkraften körperliche Auseinandersetzungen in höherem Alter nicht mehr so gut. Die eigene Verletzlichkeit steigt und ältere Polizistinnen und Polizisten wünschen sich, sich nicht mehr „mit betrunkenen Jugendlichen“ und „20-jährigen aggressiven, betrunkenen, beleidigenden, provozierenden, körperlich stärkeren, ungehobelten Flegeln“ auseinandersetzen zu müssen. Häufig wünschen sie sich bei solchen Einsätzen „nicht mehr an vorderster Front zu stehen“ sowie einen erleichterten Wechsel in den Innendienst.

Polizei und Justiz müssen Hand in Hand arbeiten, damit Verbrechensbekämpfung erfolgreich ist. Die Tatsache, dass die Justiz in Deutschland chronisch unterbesetzt wie überlastet ist und sich diese Situation voraussichtlich noch verschärfen wird, bleibt nicht folgenlos für die Polizei. Gibt es trotz erfolgreicher Ermittlungsarbeit durch die Polizei aufgrund von Personalmangel in der Justiz kein Strafverfahren oder müssen Verdächtige aufgrund von Fristüberschreitungen aus der Untersuchungshaft freigelassen werden, ist dies mehr als frustrierend für die Polizei. Die Überlastung der Justiz ist auch ein gravierender Grund dafür, dass Polizistinnen und Polizisten – gerade in Stadtteilen mit hoher Kriminalität und polizeibekannten Straftätern – nicht ausreichend ernst genommen werden, weil Straftaten nicht konsequent verfolgt und geahndet werden können. Die Wahrscheinlichkeit für wiederholte Straftaten und wiederholt respektloses Verhalten steigt.

Fehlende finanzielle Anerkennung
Bei der Gewinnung neuer Kolleginnen und Kollegen stehen die Polizeien der Länder in gegenseitiger Konkurrenz und in Konkurrenz zur Bundespolizei, da die Besoldungsmöglichkeiten in den einzelnen Bundesländern nicht gleich gut sind. Einige Bundesländer versuchen dem Mangel an PVB durch die gezielte Neueinstellung von Angestellten im Polizeidienst entgegenzuwirken. Jedoch bestehen besonders bei der Einstellung von IT-Spezialisten, die in der Regel Quereinsteiger in den Polizeidienst sind, große Schwierigkeiten durch die im Vergleich zur Wirtschaft eher unattraktiven Gehälter im Polizeidienst.

Auch die technische Ausstattung sowie die Qualität und Eignung der persönlichen Schutzausrüstungen innerhalb der verschiedenen Polizeien wurden in den vergangenen Jahren deutlich bemängelt. Besonders die Funkgeräte der Polizei funktionieren nicht zuverlässig. Eine hohe Gefahr entsteht, wenn infolgedessen Verstärkung nicht eintrifft.

Allerdings ist die Ausstattung von Polizistinnen und Polizisten mit Fahrzeugen, Waffen und persönlicher Schutzausrüstung (PSA) seit 2015 in Folge von Terroranschlägen im europäischen Ausland deutlich verbessert worden. Die Bundesländer investierten 210 Millionen Euro im Rahmen von Anti-Terror-Paketen in die Ausstattungen ihrer Polizistinnen und Polizisten. Um die Bundespolizei vergleichbar wie die paramilitärischen ausländischen Polizeien Gendarmerie oder Carabinieri (italienische Polizei) auszustatten, standen im vergangenen Jahr 302 Millionen bereit (2014 waren es nur rund 100 Millionen). Bemängelt wird jedoch beispielsweise weiterhin, dass es bei der realitätsnahen Gestaltung von Trainings aufgrund von mangelnden finanziellen Ressourcen zu Einbußen kommt und Trainings zu selten durchgeführt werden, um Verhaltensweisen und Techniken routiniert abspulen zu können.

Verfall von Werten
Die missbräuchliche Nutzung der Notrufnummer 110 nimmt zu. Dies ist auch ein Faktor, der die Arbeitsverdichtung erhöht und besonders für Angestellte im Polizeidienst relevant ist. Die Berliner Polizei berichtet beispielsweise, dass fast ein Viertel (23 Prozent) der eingehenden Notrufe keinen Polizeieinsatz erfordern. Pro Tag handelt es sich so um 820 überflüssige Anrufe. Dies erhöht psychische Beanspruchungen, Wut, Frustration und die Notwendigkeit der Emotionsregulation bei Polizistinnen und Polizisten. Bürgern ist dabei nicht bewusst oder gleichgültig, dass die Kapazitäten der Polizei beschränkt sind und die Versorgung echter Notfälle durch ihr Verhalten gefährdet ist.

Ein weiteres Problem und Beispiel für einen Werteverfall ist die Zunahme der Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft. Davon sind auch Polizistinnen und Polizisten betroffen. Sie klagen außerdem über zunehmende Respektlosigkeit, Feindseligkeit und Aggressivität ihnen gegenüber. Polizisten waren stärker von tätlichen Angriffen betroffen als ihre Kolleginnen. Die Attackierten empfinden es teils als belastend, wenn sie sich gezwungen sehen, selbst Gewalt anwenden zu müssen, um die Kontrolle über die Situation zu behalten und/oder sich zu schützen.

Ein Problem ist die wachsende Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen. Polizistinnen und Polizisten beschreiben vor allem den Umgang mit männlichen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen als besonders problematisch. Verschiedene Quellen heben in dem Zusammenhang Probleme mit jungen Männern mit Migrationshintergrund hervor. Sehr häufig sind angreifende Personen alkoholisiert oder stehen unter Drogen- oder Medikamenteneinfluss. 2016 spielte Alkohol bei 27,3 Prozent aller aufgeklärten Gewaltdelikte eine Rolle.

Statistiken zu Gewaltdelikten gegenüber Angestellten im Polizeidienst sind nicht verfügbar. Da sie jedoch im Wesentlichen im Innendienst beschäftigt sind, ist davon auszugehen, dass sie deutlich weniger direkte körperliche Gewalt als PVB im Außendienst erfahren. Dennoch könnten sie im Rahmen ihrer administrativen Aufgaben mit Bürgerkontakt ähnlich häufig gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt sein, wie Beschäftigte mit Bürgerkontakt in Job-Centern oder Stadtverwaltungen. Fast jeder zehnte (9,6 Prozent) tätliche oder nichttätliche Angriff auf PVB erfolgte in Diensträumen. Immer wieder kommt es sehr vereinzelt auch zu schweren Angriffen auf Polizeiwachen. Werden Gewaltattacken als Trauma erlebt, können sie zu einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) führen.

Auch zum Thema gehören Fälle von nichtgerechtfertigter Gewaltanwendung durch die Polizei gegenüber Bürger und Bürgerinnen sowie Fälle seelischer und/oder körperlicher Gewalt innerhalb der eigenen Reihen. Für Polizistinnen und Polizisten, die nichtgerechtfertigte Gewaltanwendung durch ihre Kolleginnen und Kollegen missbilligen, stellen solche Situationen ein großes moralisches Dilemma dar. Die Kultur innerhalb der Polizei beinhaltet „… dass man sich nicht gegenseitig verrät, anzeigt oder anschwärzt“. Bei Aussagen gegen Kolleginnen und Kollegen müssten Polizistinnen und Polizisten je nach Atmosphäre ihrer Dienststelle Mobbing und schlimmstenfalls Auswirkungen auf ihre Karriere befürchten.

Interkulturelle und sprachliche Anforderungen
Kenntnisse über andere Kulturen sowie Fremdsprachenkenntnisse sind vor allem in Ballungsgebieten und in sozialen Brennpunkten seit Jahrzehnten wesentlich für einen professionellen Umgang mit Menschen anderer Kulturkreise. Polizistinnen und Polizisten berichten, dass es häufig – jedoch nicht immer – deeskalierend auf das Gegenüber wirkt, wenn man die gleiche Sprache spricht. Im Zuge der Zuwanderung von Geflüchteten und Migranten sind sprachliche und interkulturelle Kompetenzen seit 2015 besonders gefragt.

Auch für die Ermittlungsarbeit von Polizistinnen und Polizisten in der analogen und digitalen Welt sind diese Kenntnisse von großem Wert. „Cybercrime ist transnationale Kriminalität“. Daher beinhaltet erfolgreiche Ermittlungsarbeit in diesem Bereich auch immer Kooperation mit Dienststellen anderer Länder. Fehlen Fremdsprachenkenntnisse oder interkulturelle Kenntnisse kann dies den Arbeitsalltag unter Umständen erheblich erschweren und gegebenenfalls mit Gefühlen der Unzulänglichkeit und/oder Überforderung einhergehen.

Psychische Belastungen
Angestellte im Polizeidienst haben aufgrund ihrer überwiegenden Tätigkeit im Innendienst weniger und weniger konfliktträchtigen Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern als PVB, die überwiegend im Außendienst tätig sind. Situationen, in denen das doch der Fall ist, sind zum Beispiel, wenn Anzeigen aufgenommen, Notrufe entgegen genommen, Tatorte gesichert werden, der ruhende Verkehr geregelt wird und gegebenenfalls, wenn Objekte gesichert werden. Diese Kontakte erfordern unter Umständen Emotionsarbeit – nämlich immer dann, wenn die eigenen Gefühle reguliert werden müssen. Emotionsarbeit muss sich nicht zwangsläufig negativ auf die Gesundheit auswirken. Erfolgreiche Interaktionen mit Bürgerinnen und Bürgern können mit Gefühlen der Leistungserfüllung und Zufriedenheit einhergehen. Immer dann, wenn die Emotionsregulation durch Oberflächenhandeln (äußerlich wird die Emotion gezeigt, innerlich aber nicht empfunden) erfolgt, kann emotionale Dissonanz, also ein Widerspruch zwischen den erlebten und den dargestellten Gefühlen, entstehen. Wenn Oberflächenhandeln gegen den eigenen Willen durchgeführt wird und der eigenen Überzeugung widerspricht („faking in bad faith“), sind Gesundheitsbeeinträchtigungen und -schäden wahrscheinlich. Beispiele für Situationen, in denen Angestellte Polizistinnen und Polizisten ihre Emotionen regulieren müssen, sind unnötige Verständigungen der Polizei per Notruf 110, der Umgang mit aufgebrachten und gegebenenfalls beleidigenden Bürgerinnen und Bürgern oder wenn starker Ekel empfunden wird.

Emotionale Dissonanz korreliert stark mit einer verminderten Arbeitszufriedenheit und steht auch in Zusammenhang mit der Entstehung eines Burn-out-Syndroms. Dauer, Intensität und Vielfalt der darzustellenden Gefühle sowie Rückzugsmöglichkeiten spielen eine Rolle dabei, ob ein Burn-out-Syndrom entsteht. Auch fehlende Wertschätzung erbrachter Emotionsarbeit durch den Dienstleistungsempfänger und/oder durch den Vorgesetzten begünstigt das emotionale „Ausbrennen“.

Kopfschmerzen, Einschlafschwierigkeiten, Nervosität und Anspannung können als langfristige Folgen von psychischer Fehlbelastung aufgrund von Emotionsarbeit entstehen. Psychische Beanspruchungen können auch zu erhöhtem Blutdruck und gesteigerter Stoffwechselaktivität, muskulären Verspannungen und Beschwerden des Verdauungstraktes führen. Die Notwendigkeit, Emotionen zu regulieren, gepaart mit emotionaler Erschöpfung, erhöht die Wahrscheinlichkeit für Fehler und Unfälle.

Polizistinnen und Polizisten in Leitstellen müssen aufgrund der begrenzten Kapazitäten entscheiden, ob es sich bei einem Notruf um einen echten handelt und ob sie einen Streifenwagen herausschicken. Fehlentscheidungen kosten schlimmstenfalls Menschenleben. Für Polizistinnen und Polizisten können Fehlentscheidungen sehr belastend sein.

Verarbeitung indirekter Gewalterlebnisse
Indirekter körperlicher und seelischer Gewalt können Angestellte im Polizeidienst je nach Aufgabengebiet sehr wohl häufig ausgesetzt sein. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn sie Datenträger mit Gewaltvideos oder kinderpornografischen Inhalten sichten und auswerten müssen. Damit einhergehende Gefühle können zum Beispiel Machtlosigkeit, Unverständnis, Wut, Ärger, Ekel, Frustration, Gereiztheit und Anspannung sein. Psychische Ermüdung und psychische Sättigung können Folgen sein. Eine der bedeutendsten emotionalen Belastungen der Beschäftigten der Polizei ist es, Bedürfnissen der Opfer nach Schutz aufgrund geltender gesetzlicher Bestimmungen und bürokratischer Regelungen nicht entsprechen zu können. Generell sind Beschäftigte in helfenden Berufen dadurch oft emotional sehr belastet, dass sie Hilfsbedürftigen nicht in dem Maß helfen können, wie sie gerne würden.

Bei solchen Beschäftigten, deren Verarbeitungsstrategie es ist, die Emotionsverarbeitung nach Hause zu verlagern, besteht das Risiko der Abkapselung von den anderen Familienmitgliedern. Hier fehlen dann mentale Kapazitäten, um sich mit Bedürfnissen des Partners oder der Kinder auseinanderzusetzen.

Als stark belastend empfinden Polizistinnen und Polizisten Androhungen von Gewalt gegen ihre eigene Familie. Häufig verzichten Polizistinnen und Polizisten auch auf Anzeigen, weil nur PVB in Spezialeinheiten (SEKs), Staats- oder Verfassungsschutz eine Auskunftssperre verhängen können, das heißt ihre private Adresse nicht angeben müssen. Daher fordern Gewerkschaften, dass jegliche PVB im Außendienst Auskunftssperren über ihre persönlichen Daten verhängen darf.

Fehlende gesellschaftliche Anerkennung
Viele Polizistinnen und Polizisten fühlen sich durch Politik und Dienstherren nicht ausreichend geschützt und unterstützt: Der Personalmangel führt dazu, dass häufig zunächst nur ein Einsatzwagen zum Einsatzort fährt oder Polizistinnen und Polizisten auch allein Streife fahren und gegebenenfalls auch Einsätze übernehmen müssen. Als besonders unangenehm empfunden sowie objektiv gefährlich sind Einsätze immer dann, wenn die Einsatzkräfte zahlenmäßig unterlegen sind und Verstärkung infolge des Personalmangel (zu) lange braucht, bis sie eintrifft. Dies ist besonders in ländlichen Gegenden ein Problem.

Mit der personellen Unterbesetzung gehen Gefühle des Kontrollverlustes, der Hilflosigkeit und Angst um die eigene Unversehrtheit und die von Kolleginnen und Kollegen einher. Des Weiteren fühlen Polizistinnen und Polizisten sich bei Anzeigen, zum Beispiel wegen Beleidigung, durch ihre Dienstherren nicht unterstützt. Die Unterbesetzung der Justiz führt zu weiterer Frustration und zum Motivationsverlust.

Image der Polizei in der Bevölkerung
Polizistinnen und Polizisten genießen zwar nicht so ein großes Vertrauen wie die Feuerwehrleute als Spitzenreiter, schaffen es aber immerhin auf Platz 8 unter 32 ausgewählten Berufsgruppen: 81,4 Prozent der Bevölkerung vertrauen der Polizei. Allerdings kratzen Berichte über fragwürdige Praktiken am Image der Polizei als Freund und Helfer.

Migranten aus Ländern mit autoritären Regimen, in denen gegebenenfalls Korruption innerhalb der Polizei weit verbreitet ist und in denen die Polizei bürgerfeindlich handelt, haben aufgrund ihrer negativen Erfahrungen häufig Vorurteile auch gegenüber der deutschen Polizei. Bürgernähe ist daher ein erklärtes Ziel der Polizei – auch um Vertrauen zu schaffen.

Pauschale Beleidigungen und Anfeindungen aus oben genannten Gründen können bei den Polizistinnen und Polizisten zum Beispiel Ärger, Frust und Gefühle der ungerechten Behandlung hervorrufen. Es kommt zu einer „… Abstumpfung des Umganges mit den Bürgern, Resignation, was Bemühungen im Dienst angeht, und (einer) deutliche(n) Verkürzung der eigenen Geduld.“

Migration von Krankheitserregern
Polizisten und Polizistinnen werden häufiger bespuckt, als man vermuten würde. Offizielle Statistiken gibt es nicht. Zahlen aus Hamburg aus dem Jahr 2014 besagen aber, dass Polizistinnen und Polizisten innerhalb von 90 Tagen 75 Mal bespuckt wurden. PVB aus NRW berichten, dass 27,9 Prozent der von ihnen erlebten tätlichen Angriffe aus Kontakt mit Körperflüssigkeiten (zum Beispiel Spucken) und 5,3 Prozent aus Beißen (durch Menschen) bestanden.

Es ist davon auszugehen, dass PVB aufgrund ihrer Außendiensttätigkeiten häufiger davon betroffen sind, als Angestellte im Polizeiinnendienst. Über den Speichel können Krankheiten übertragen werden. Daher gibt es in einigen Bundesländern wie beispielsweise Bremen, Hamburg und Rheinland-Pfalz bereits Spuckschutzhauben für PVB im Streifendienst.

Immer, wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, besteht ein erhöhtes Risiko der Verbreitung von Infektionskrankheiten. Dies ist im Besonderen der Fall, wenn Geflüchtete, die oft bereits eine lange Reise aus Kriegsgebieten ohne ausreichend Wasser, sanitäre Anlagen und ärztliche Versorgung hinter sich haben, in Sammellagern zusammenleben. Zwar sind in Deutschland medizinische Untersuchungen von Geflüchteten gesetzlich vorgesehen, allerdings lassen sich manche Erkrankungen erst nach einer Latenzzeit (zum Beispiel nach Eingang von Laborbefunden) feststellen. Je enger der Kontakt zu kranken Personen oder ihren
persönlichen Gegenständen, desto höher das Ansteckungsrisiko.

FAZIT

Polizistinnen und Polizisten sind stark beansprucht. Die Ursachen hierfür sind komplex und liegen zum einen in zusätzlichen, neuen Aufgaben – allen voran in der Bekämpfung von Cyberkriminalität und Terrorismus. Aber auch gesellschaftliche Entwicklungen sind von Bedeutung: steigende Gewaltbereitschaft oder ein spürbarer Wertewandel erschweren die Arbeitsbedingungen, der demografische Wandel erhöht die Arbeitslast. Letzterer trägt zum Fachkräftemangel bei, der auch die Polizeien deutlich trifft.


Sicherheit und Gesundheit von Polizistinnen und Polizisten bei der Arbeit hängt folglich auch an Phänomenen, die von der gesetzlichen Unfallversicherung – wenn überhaupt – nur indirekt beeinflusst werden können. Tatsächlich liegen potenziell wichtige Maßnahmen wie Personalaufstockungen, die Schaffung einer angemessenen finanziellen Grundlage für staatliche Aufgaben, ein funktionierendes Zusammenspiel mit der Justiz oder eine Verbesserung der gesellschaftlichen Gesamtsituation nicht im Wirkungsbereich von Unfallkassen und Berufsgenossenschaften. Sie fallen in die Zuständigkeit anderer sozialpolitischer Akteure. Dabei lautet eine entscheidende Frage: Wie lässt sich der Mangel an Bewerbungen für den Polizeidienst überwinden? Sicher auch, indem gute Arbeitsschutzbedingungen dieser Berufsgruppe – sprich wenige Unfälle und Erkrankungen – und eine echte Kultur der Prävention das Image der Branche befördern. In welchem Umfang dies möglich ist, muss die Zukunft weisen. Das Risikoobservatorium der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung schafft mit diesem Beitrag die Basis, die nötig ist, um über Maßnahmen für mehr Sicherheit und Gesundheit in der Polizeiarbeit zu entscheiden. Sofern diese Maßnahmen vom gesetzlichen Auftrag der Unfallversicherungsträger gedeckt sind, werden sie in die Präventionsarbeit von Berufsgenossenschaften und Unfallkassen einfließen. Wenn darüber hinaus das Handeln Dritter erforderlich ist, liefern Veröffentlichungen wie diese Impulse.

Das Risikoobservatorium der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
Das Risikoobservatorium als Früherkennungssystem für Trends in der Arbeitswelt fragt nach zentralen Entwicklungen in der Arbeitswelt und neuen Risiken am Arbeitsplatz sowie in Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen.
Alle fünf Jahre sind die Einschätzungen von Aufsichtspersonen und anderen Präventionsfachleuten der gesetzlichen Unfallversicherung gefragt. Mit einer Online-Umfrage helfen sie mit, Antworten auf zwei Fragen zu geben:

  • Welche Trends haben auf die Sicherheit und Gesundheit der Versicherten der Unfallversicherungen besonders großen Einfluss?
  • Welche konkreten Gefährdungen – Erkrankungen, Unfälle, Beanspruchungen – ergeben sich daraus?

Die Ergebnisse werden branchenspezifisch ermittelt und durch Literaturrecherchen vertieft. So erhält jeder Unfallversicherungsträger individuelle Informationen zu den Top-Trends seiner wichtigsten Branchen und damit wertvolle Hinweise für die Präventionsschwerpunkte der kommenden Jahre.
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