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SaarGemeinschaftsInitiative

Offener Brief des DGB an den Ministerpräsidenten

Saarbrücken.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, zum wiederholten Male hat sich das Mitglied Ihrer Landesregierung, Wirtschafts- und Arbeitsminister Dr. Hanspeter Georgi, in der Öffentlichkeit deutlich wahrnehmbar über die angebliche "Blockiererrolle" der saarländischen Gewerkschaften geäußert.

Auf der Titelseite der Saarbrücker Zeitung vom vergangenen Donnerstag, 03. März 05, sowie im Wirtschaftsteil (Seite D 7) heißt es unter der Überschrift "Saar-Gewerkschafter mitschuldig an Arbeitslosigkeit" teilweise in wörtlicher Zitierung: "Der Minister wirft ihnen vor, im Bremserhäuschen zu sitzen und notwendige Entwicklungen, die zur Sicherung von Arbeitsplätzen sowie zur Schaffung neuer Beschäftigung führen, zu blockieren. Die Saar-Gewerkschaften seien in ihrem Verhalten und in ihren Ansichten deutlich weniger fortschrittlich als ihre Kollegen in benachbarten Bundesländern. Georgi: "Die Gewerkschaften sind hier weniger innovationsfreudig als außerhalb des Landes". Dr.Georgi führt sodann als Belege seiner Argumentation und Symbole "innovativer" Wirtschaftspolitik die generelle Verlängerung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich sowie die weitere Lockerung des Kündigungsschutzes an. Dabei handelt es sich um ideologische Ladenhüter aus dem Bereich der Arbeitgeberverbände, die ihren Ursprung bereits in den frühen 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben und bisher jeglichen Beweis für eine Ankurbelung der Wirtschaftskonjunktur schuldig geblieben sind. Dr. Georgi ignoriert wider besseren Wissens die saarländische Realität - wir stellen fest: 1. Im Saarland gibt es eine überdurchschnittliche Schichttätigkeit (1-5 Schicht- und kontinuierliche Schichtmodelle), die im Vergleich zur Bundesrepublik ihresgleichen sucht. 2. Die Flexibilität, die im Rahmen der unterschiedlichen Arbeitszeitgestaltung hier bewiesen wird, zeugt von einer äußerst hohen Motivation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Beide Dinge, Schichtmodelle und Flexibilität, beruhen auf der Basis der gesetzlichen und tariflichen Grundlagen. 3. Die Entwicklung der Einkommenssituation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Saarland quer durch alle Branchen und Bereiche liegt im unteren Bereich der Einkommensentwicklung im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern. 4. Die Gewerkschaften im Saarland haben einen wesentlichen Anteil daran, dass es heute an der Saar noch rund 12.000 Arbeitsplätze in der Stahlindustrie und 9.000 unmittelbar im Bergbau gibt. 5. Die wirtschaftliche Wachstumsrate an der Saar liegt deutlich unter dem Durchschnitt der alten Bundesländer, d.h. Georgi hat einen schlechten Job gemacht und versucht jetzt, die Schuld dafür auf andere zu schieben. Nur einen Tag später ist auf der Titelseite der Saarbrücker Zeitung vom 04. März 05 unter der Überschrift "Forderung nach Finanzhilfen vom Bund - Regierung: Saarland gerät in Abwärtsspirale" vom stellvertretenden Ministerpräsidenten und saarländischen Finanzminister Peter Jacoby zu lesen: "Es sei davon auszugehen, dass Ministerpräsident Peter Müller (CDU) und er zusammen mit weiteren Mitgliedern der Saar-Gemeinschaftsinitiative (SGI)demnächst ein Gespräch mit Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) in Berlin führen würden, so der Minister. Hierzu werde die SGI noch einmal einberufen, um diese in die Vorbereitung weiterer Schritte einzubinden, kündigte Jacoby an." Sie hatten den DGB-Landesvorsitzenden, Eugen Roth, am Rande des Landtagsplenums am 23. Februar 05 bereits persönlich über diese Absicht informiert.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Müller, für uns, die vier Repräsentanten der Gewerkschaftsbewegung im DGB Saar in der SGI, entsteht durch diese öffentlichen, sich widersprechenden Regierungsäußerungen sowie die Geschehensabläufe grundsätzlicher Klärungsbedarf. Dies ist die Bedingung für unsere weitere, konstruktive Mitarbeit in der SGI. Wir müssen öffentlich darstellbar wissen, ob die von Dr. Georgi öffentlich breit dargestellte Auffassung, die Gewerkschaften im Saarland seien schuld an der Arbeitslosigkeit und schlechter als die Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern, Ihre Auffassung bzw. die der von Ihnen geführten saarländischen Landesregierung ist. Sollte dies nicht der Fall sein, erwarten wir eine deutliche öffentliche Klarstellung. Wir müssen weiter von Ihnen wissen, wie Sie mit unseren im SGI-Plenum am 30. November 04 nachhaltig vorgebrachten Argumenten nach einer qualitativ beachtlichen und gemeinsam erarbeiteten Liste von Leitprojekten, die einer Bundesregierung die Entscheidung für weitere, finanzielle Sonderförderungen des Saarlandes ermöglichen, im zurückliegenden Vierteljahr umgegangen sind. Wir konnten nur erfahren, dass Sie am 22. Dezember (!) 2004 der Bundesregierung einen Brief geschrieben haben und dass Sie 7 Wochen später beim politischen Aschermittwoch Ihrer Partei am 09. Februar 05 in Schwalbach verkündet haben, dass die Bundesregierung weitere Sonderhilfen verweigere und ihre Landesregierung nun den Gang vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorbereite. Wenig später wurden diese Äußerungen wieder von Ihrem Stellvertreter Peter Jacoby erheblich relativiert. Die Gewerkschaftsbewegung im DGB Saar hatte, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, diese Saar - Gemeinschaftsinitiative 1993 mit aus der Taufe gehoben. Wir haben in den zurückliegenden 12 Jahren immer engagiert und konstruktiv mitgearbeitet und auch teilweise für uns schmerzliche Entscheidungen (vgl. u.a. "Leichtbehindertenurlaub") sowie schwierige Projekte (vgl. u.a. Niedriglohnmodell "CAST" - sogenanntes Saarbrücker Modell) mitgetragen bzw. umgesetzt. Es ist für uns daher unerträglich, dass wir als "Partner" in dieser SGI von einem Regierungsmitglied wiederholt zu Unrecht und ideologisch verbrämt dermaßen herabgewürdigt werden. Inhaltlich erwarten wir eine Aufnahme und qualifizierte Vorbereitung unserer Vorschläge als Gesprächsgrundlage mit der Bundesregierung. Wir würden es ablehnen, nur für ein rein taktisches Geplänkel und politische Propaganda zur Bundesregierung nach Berlin zu reisen. Ein solches, für unser Saarland existenziell wichtiges Gespräch bedarf einer substanziell beachtlichen Vorbereitung. Bisher erscheint dies nach unserer Auffassung vor wie nach nicht der Fall zu sein. Bitte klären Sie umgehend und unmissverständlich die o.a. Aspekte, da diese unsere Zusammenarbeit in der Saar-Gemeinschaftsinitiative grundlegend belasten.


Mit freundlichen Grüßen

Robert Hiry (1. Bevollmächtigter IG Metall Völklingen)
Rolf Linsler (Landesleiter Ver.di Saar)
Michael Riedel (Bezirksleiter IG BCE Saarbrücken)
Eugen Roth (Landesvorsitzender DGB Saar)



Eugen Roth,
DGB-Landesvorsitzender



Die SZ berichtet am 9. März 2005 über diesen Offenen Brief auf der Frontseite an den MP Peter Müller unter der Überschrift: "Saar-Gewerkschaften drohen Peter Müller".
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