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CASTOR-Einsatz 2010

Unzumutbare Zustände

Ein Bericht – aber kein Einzelfall!

Eine Kollegin aus Niedersachsen schildert die unzumutbaren Zustände und Bedingungen, unter denen sie – und nicht nur sie – während des CASTOR-Einsatzes ihren Dienst versehen musste. In den Nachbereitungen müssen nicht nur die Fakten, sondern auch die Verantwortlichkeiten geklärt werden. Diese Zustände sind bereits 2008 von Einsatzkräften und der GdP beschrieben worden. Will man oder kann man keine Änderungen vornehmen? Wenn man nicht kann, dann ist es Versagen, wenn man nicht will, dann gehören diese Verantwortlichen nicht mehr in Funktionen in denen sie es mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Einsätzen zu tun haben. rf

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Liebes CASTOR-Tagebuch…

CASTOR 2010 – Einsatz oder Zumutung?

Die Idee, ein „CASTOR-Tagebuch“ zu schreiben, hatte ich schon vor zwei Jahren, als ich den ersten großen Einsatz nach Beendigung meines Studiums vor mir hatte. 2008 wurde es – wie gedacht – einfach eine schöne Erinnerung an die Momente eines großen Einsatzes, die einen zum Schmunzeln und Lachen gebracht haben. An die Momente, auf die ich mich auch dieses Jahr gefreut hatte – auch wenn jedem klar war, dass es ein anstrengender Einsatz werden würde.

Doch dieses Jahr wurde dieses, als schöne Erinnerung gedachte, Tagebuch kurzerhand zu einer Dokumentation der Umstände, unter denen wir zu arbeiten hatten. Umstände, die nicht einfach so hingenommen werden sollten. Denn noch so einen Einsatz will niemand von uns noch einmal erleben!

In Nachhinein bin ich froh, dass ich von Anfang an alles aufgeschrieben habe, denn so ergibt sich jetzt die Möglichkeit, allen, die nicht dabei waren, einen Einblick zu vermitteln, wie wir uns gefühlt haben.

 
Samstag, 06.11.10, 21.20 Uhr

Wieder ist es soweit, der CASTOR rollt! Aber rollt er gerade wirklich? Oder steht er rum und wartet? So wie ich. Seit 17 Uhr warte ich auf einen Anruf. Denn ab 19 Uhr hätte es losgehen können. Die Taschen sind bereits verstaut, der Einsatzanzug liegt neben mir. Ich bin bereit. In Bereitschaft. Moment! „Eine Rufbereitschaft ist nicht angeordnet.“, stand in der Mail, die wir bekommen haben. Das heißt, die Zeit, die ich hier sitze, ist keine Dienstzeit, nicht einmal zu einem Achtel. Aber was ist dann Rufbereitschaft, wenn nicht das hier? Ich sitze hier – und alle anderen Kollegen auch – und warte nur darauf, dass mich jemand anruft. Um dann in kürzester Zeit losfahren zu können. Keine Rufbereitschaft? Keine Dienstzeit? Ich verstehe viel, aber das nicht!

Dazu kommt, dass es mittlerweile fast viereinhalb Stunden sind, die ich warte. Gut, dass Züge Verspätung haben, sind wir alle gewöhnt. In diesem Fall ist nur ausnahmsweise mal nicht die Deutsche Bahn schuld. Ich frage mich, ob ich vielleicht sogar gleich ins Bett gehen kann. Denn laut der Medien steht der CASTOR im Moment zwischen Mannheim und Darmstadt und kommt nicht weiter. Wie lange soll ich denn noch warten? Wohlgemerkt in meiner Freizeit.

Doch diese so einfach scheinende Frage ist nicht zu beantworten, denn diejenigen, die zu entscheiden haben, wann es los geht, scheinen es selbst noch nicht zu wissen. Also heißt es: Warten!

21.50 Uhr

Es ist soweit, es geht los. Doch ich frage mich, wie es in einer einzigen Stunde möglich sein soll am Treffpunkt zu sein, wenn man um 21.45 Uhr angerufen wird, 20 km zur Heimatdienststelle fahren muss, dort den Bulli besteigt, dann Kollegen einer anderen Dienststelle abholen muss und anschließend noch mal 20 km zum Treffpunkt vor sich hat. Rein rechnerisch ist das unmöglich! Aber von uns wird es verlangt.

23.15 Uhr

Zu spät. Natürlich. Aber es stört keinen, es hatte nämlich niemand damit gerechnet, dass alle pünktlich da sind, bei der Weg-Zeit-Berechnung.

Ich bin gespannt, was der Einsatz bringen wird. Warten wir es ab!

 
Sonntag, 07.11.10, 10.30 Uhr

Ich hätte nicht „Warten wir es ab“ sagen sollen. Genau das machen wir nämlich seit gestern Abend. Aber das war zu erwarten. Brücken an der Strecke zu bewachen ist eben nicht das Spannendste, was der Beruf so mit sich bringt. Der CASTOR stand einige Stunden irgendwo vor Northeim. Aber so kamen die wichtigen Dinge des Lebens wenigstens nicht zu kurz. Zähneputzen auf einer Brücke bei 5°C ist nicht schön, aber ein Erlebnis. Sogar Zahnseide haben wir dabei! Wenigstens unser Wagen ist gemütlich.

Im Moment warten wir darauf, dass der Zug weiterfährt. Das soll in einer halben Stunde so weit sein und dann geht es wohl weiter in die Unterkunft zum Frühstücken und Schlafen. Wir sind alle müde und haben Hunger nach jetzt gut 12 Stunden Dienst, aber die Stimmung ist recht gut und entspannt.

19.30 Uhr

Schlafen? Frühstück? Nein!

Wir haben direkt zum nächsten Einsatz verlegt. An die Gleise. Sitzblockade auf den Gleisen und Treckerblockaden auf den Wegen dorthin. Jetzt, nach fast 22 Stunden Dienst, sitzen wir endlich mal kurz im warmen Auto und machen Pause. Uns ist bitterkalt, denn im Grunde stehen wir seit heute Mittag in der Kälte. Die Lunchpakete, die eigentlich nur für die letzte Nacht gedacht waren, sind so gut wie leer. Wenn überhaupt sind noch Süßigkeiten über, die aber gerade niemandem helfen. Denn wir haben Hunger, aber es gibt nichts. Warum weiß keiner. Denn die Kräfte sind ja jetzt auch alle an den Gleisen, da sollte auch ein Versorger durchkommen. Wir sind hungrig, genervt, müde, durchgefroren und der Rücken schmerzt unter der Schutzausstattung. Aber ein Ende ist nicht in Sicht!

Nein, jetzt gilt es, sich aufzuwärmen um dann wohl noch die Gleise zu räumen. Wie? Keine Ahnung, die Kraft wird dafür wohl kaum noch reichen…

22.10 Uhr

Der Versorger ist da! Doch über Funk kam gerade, dass mein Hundertschaftsführer der Meinung ist, seine Hundertschaft müsse jetzt nicht verpflegen! Unglaublich!!! Ich nähere mich der völligen Erschöpfung! Ich habe Hunger! Ich kann nicht mehr! Ich bin soweit, einfach zu gehen, egal was hier irgendwelche Vorgesetzten sagen. Das ist mir egal! Genau das habe ich gerade in sehr gereiztem Ton meinem Halbzugführer gesagt. So kenne ich mich selbst gar nicht. Ich habe nicht mal mehr die Kraft, mich mit jemandem zu unterhalten, bin unglaublich gereizt.

Und so wie es aussieht, geht der Einsatz noch länger… wie ich das schaffen soll, weiß ich nicht. Ich funktioniere noch irgendwie, mehr aber auch nicht!

Dazu habe ich Kopfschmerzen und weiß auch genau warum: zu wenig getrunken! Aber wenn man die Wahl hat zwischen ein bisschen Kopfschmerzen und bei fast 0°C und keiner dunklen Stelle im Wald (ist schließlich alles ausgeleuchtet) dorthin zu gehen, um eine Notdurft zu verrichten, entscheide ich mich für die Kopfschmerzen. Denn Toiletten gibt es für uns nicht! Für Männer mag das kein Problem sein, aber als Frau mittlerweile fast 12 Stunden keine Toilette mehr aufsuchen zu können ist eine Zumutung!

Auch an Ablösung ist nicht zu denken, angeblich kommen die Kräfte nicht durch…das glaubt hier aber auch niemand mehr!

Was wir jetzt eigentlich noch machen sollen, wissen wir nicht, denn Informationen bekommen wir kaum. Die zuverlässigste Informationsquelle ist der Castorticker, den wir hier regelmäßig auf unseren Smartphones lesen, um überhaupt mal irgendwas zu wissen. Angeblich soll der Zug die Nacht stehen bleiben. Was sollen wir dann hier?

 
Montag, 08.11.10, 02.10 Uhr

So gegen 23.00 Uhr kamen wir endlich an Essen. Dünne Suppe mit Reis, nicht lecker, nicht genug und nicht sehr nahrhaft. Aber wenigstens warm! Das half ein bisschen, aber mein Nervenkostüm war so dünn mittlerweile, dass ich mich schon über das Überschwappen der Suppe aufgeregt habe, wie ich es sonst nur in Ausnahmesituationen tue…

Gerade standen wir noch an den Gleisen und sollten räumen. Nach fast 30 Stunden Dienst! Wer bitte glaubt, dass da selbst der durchtrainierteste Mann auch nur einen einzigen Menschen trägt?

Gott sei Dank wurden wir, bevor es dazu kam, entlassen! Ich hätte in meinem Zustand auch kein einziges anständiges Gespräch mehr führen können… Also brechen wir jetzt auf zur Unterkunft. Endlich!!!

Aber so einfach wird das nicht! Treckerblockaden auf dem Heimweg! Das wird also dauern…

04.15 Uhr

Endlich angekommen! Duschen, Schlafen! Für mehr reicht es nicht. Selbst Hunger habe ich keinen mehr…

15.00 Uhr

Wenigstens die Unterkunft ist gut! Wir konnten Schlafen, wobei das bei der Hellhörigkeit des Gebäudes auch ab 10 Uhr mehr ein Dösen als erholsamer Schlaf war.

Endlich konnten wir richtig essen. So richtig an einem Tisch und vor allem, bis wir satt waren!

Alle haben Muskelkater und sehen unglaublich fertig aus. Kein Wunder nach 33 Stunden Dienst, davon ungefähr 15 aufgerödelt und ungefähr 4 Stunden Schlaf! Die Augen sind dick, der Kopf tut weh, die Muskeln schmerzen!

Weiter geht es wohl so gegen 17 Uhr, genau weiß das aber niemand. Der CASTOR steht beim Umladen und die Straßen sind voller Demonstranten. Von 1500 ist hier die Rede – Castorticker! Wie wir auch nur einen Einzigen davon wegtragen sollen, fragen sich hier fast alle. Denn dank der letzten eineinhalb Tage sind alle noch völlig erschöpft.

Noch ist von uns keiner ausgefallen wie in anderen Hundertschaften, aber das ist wohl reiner Zufall! Kurz davor waren gestern sicher einige!

Die Grundstimmung jetzt lässt sich gut als eine Mischung aus Erschöpfung, Frustration und Verständnislosigkeit beschreiben.

So behandelt man einfach keine Menschen! Kein Essen, keine Toiletten, keine Informationen! Und dazu dann solche Erkenntnisse, dass es in der GeSa Dixie-Klos gab, die für uns angeblich nicht durchkamen! Dass wir alle sauer sind, sollte da niemanden wundert!

Ich fühle mich ausgenutzt wie ein Tier, das gut genug ist, für seinen Besitzer zu arbeiten. Aber darum kümmern? Wieso? Das kostet nur Geld und Zeit! Solche Erlebnisse lassen mich mein Vertrauen an den Dienstherren verlieren…

19.00 Uhr

Auf geht es zum nächsten Einsatz. Gorleben.

Irgendwann am heutigen Tage drang die Information zu uns durch, dass 14 Hundertschaften nachgezogen wurden. Wie kann es sein, dass man sich mit dem Kräfteansatz so sehr verschätzt, wo seit Monaten über die Vorhaben der Demonstranten in sämtlichen Medien berichtet wird? Es herrscht wieder Unverständnis!

21.00 Uhr

Endlich passiert mal etwas, was uns allen wohl ein Lächeln ins Gesicht zaubert: Irgendjemand konnte auf dem Weg nach Gorleben nicht mehr an sich halten und so steht nun eine gesamte Abteilung auf einer Landstraße. Gruppen-Pieseln! Ein lustiger Anblick.

Allerdings vergeht mir das Lachen schnell wieder, wenn ich daran denke, dass ich wohl einige Zeit wieder keine Toilette sehen werde….

23.05 Uhr

Treckerblockade! Also wird die jetzt erst einmal geräumt, bevor es weiter gehen kann!

 
Dienstag, 09.11.10, 03.05 Uhr

Auf geht es an die Strecke in Gorleben, unmittelbar vor dem Zwischenlager. Eine riesige Sitzblockade muss hier geräumt werden und wir werden die geräumte Strecke dann sichern. Also stellen wir uns wieder auf einige Stunden in der Kälte ein…

10.20 Uhr

Endlich geschafft! Der CASTOR ist drin!

Aber wieder mussten wir um Verpflegung betteln. Wenn sich ein Versorger schon anbietet zu kommen, und man über Funk dann von der Führung hört, dass das gar nicht nötig sei, obwohl alle hungrig sind und dringend etwas Warmes gebrauchen könnten, um die nächsten Stunden ansatzweise durchzuhalten, verliert man auch das letzte Stück Vertrauen.

Mir ist kalt, meine Füße spüre ich nur noch an den Stellen, die vom langen Stehen so schmerzen, dass ich nie wieder laufen will. Ich will nur noch schlafen. Und alle anderen wohl auch, zumindest sehen sie so aus!

13.45 Uhr

Die Rückfahrt zur Unterkunft habe ich kaum mitbekommen. In 10 Minuten ist Abfahrt, es geht nach Hause! Endlich ins Bett und ausschlafen! Ich bin völlig erschöpft…

 
So geht der Einsatz also zu Ende. 66 Stunden Dienst in nicht ganz 3 Tagen!

Ich habe mit vielem gerechnet, auch damit, an meine Grenzen gehen zu müssen. Das gehört zu diesem Beruf dazu und darüber beschwert sich auch niemand.

Aber dass es so schlimm kommt, hätte niemand von uns gedacht. Es entsteht der Eindruck, dass an alle Ecken und Enden gespart wird. Vor allem bei denen, ohne die dieser Einsatz nicht möglich gewesen wäre, bei uns Einsatzkräften. Wenn man an seine Grenzen der körperlichen und psychischen Belastbarkeit geht, erwartet man zu Recht, dass die Führung alles tut, um es zumindest einigermaßen erträglich zu machen. Dazu gehören eine angemessene Verpflegung, die Möglichkeit, auf eine Toilette zu gehen und zumindest die Bemühungen, Kräfte, die seit mehr als 24 Stunden im Einsatz sind, abzulösen. Doch davon war nichts zu erkennen. Und das ist schockierend.

Es scheint, als sei das Bestreben, den Medien einen reibungslosen Einsatz zu liefern, größer, als sich um das Wohl der eigenen Kräfte zu kümmern.

Ich persönlich stelle mir die Frage, wie so etwas sein kann!? Ich fühle mich ausgenutzt! Heute, 2 Tage nach dem Einsatz, lag ich den ganzen Tag auf dem Sofa, habe Husten, fühle mich krank. Und ich werde nicht die Einzige sein. Kein Wunder nach den vielen Stunden in der Kälte. Dazu kommt, dass anscheinend um jede Minute Dienstzeit gefeilscht wird, was zusätzlich zu Verärgerung führt! Verständlicherweise!

Im Studium habe ich gelernt, dass der Beamte die Pflicht zur Gesunderhaltung hat und der Dienstherr eine Fürsorgepflicht! Von dieser Fürsorge haben wir alle nichts bemerkt. Im Gegenteil, es schien, als wolle man mit allen Mitteln den Einsatz durchziehen, auch wenn es auf Kosten der Gesundheit der eigenen Kräfte geht!

Das Mindeste, was ich erwarte, ist die Anrechnung der Rufbereitschaft, eine Vollvergütung der Einsatzzeiten und vor allem: Eine Entschuldigung!

Doch das Vertrauen zum Dienstherren ist so sehr erschüttert, dass ich daran nicht ernsthaft glaube.

Das traurige Ergebnis eines Einsatzes…

Ein Bericht von xyz
(Name der GdP und Redaktion bekannt)

11.11.2010

 
 

CASTOR-Einsatz 2010: Einsatzkräfte an der Bahnstrecke. Foto: rf



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