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Erfahrungsbericht

Der Wahnsinn zwischen Homeschooling und Homeoffice

Symbolbild: GdP
Symbolbild: GdP

In Ergänzung des Beitrags in der DP 03/21 zur Polizeiarbeit unter Corona-Bedingungen gibt ein Kollege einen tiefergehenden Einblick in seinen Arbeitsalltag zwischen Homeschooling und Homeoffice.

2021 beginnt, wie 2020 aufhört. Lockdown, Schule im (täglichen) Wechselmodell, Notbetreuung im Kindergarten. Oder eben doch keine Notbetreuung? Wie sollen bloß alle beschlossenen (und absolut richtigen!) Maßnahmen umgesetzt werden?

Schule ja oder nein. Eine Entscheidung bitte, liebes Kultusministerium. Oh, doch nicht, wir Eltern müssen entscheiden, ob wir unser Kind zum Unterricht schicken oder nicht. Die „Präsenzpflicht“ wird ausgesetzt. Notbetreuung im Kindergarten? Aber nur, wenn wir „systemrelevant“ sind, oder wie der Träger unseres Kindergartens schreibt: „Die Anwesenheit im Betrieb ist zwingend erforderlich. Weiterhin wird bestätigt, dass Home-Office, Mobiles Arbeiten, Sonderurlaub im Rahmen der Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur oder die Inanspruchnahme zusätzlicher Kindkranktage nicht möglich ist.“

Meine Frau und ich sind beide Polizeibeamte, haben Kinder im Grundschul- und Krippenalter. Dazu ein Haus mit einer Menge Haushalt. Als wenn das nicht schon von den Rahmendaten her ein großes Arbeitspensum mit sich bringen würde, stehen wir im Lockdown ganz neuen Herausforderungen gegenüber.

Glücklicherweise haben wir beide die Möglichkeit, zumindest temporär (wenn Technik zur Verfügung steht), unseren Dienst im Homeoffice zu versehen. Gleichzeitig bringt uns dieser Umstand in die Situation, entscheiden zu müssen, ob wir eine Notbetreuung für unsere Kinder wahrnehmen wollen oder nicht. Was war nochmal der Sinn des Lockdown, Kontakte zu reduzieren und möglichst unter sich zu bleiben. Leichter gesagt als getan, ist es doch so, dass in Ermangelung von Entscheidungen, ob nun Homeoffice über allem steht, oder eben doch „Arbeit nur kontrolliert werden kann, wenn man sich in der Dienststelle befindet“, geradezu ein Konflikt entsteht zwischen

  • „Du kannst Homeoffice machen – deine Kinder müssen nicht in die Notbetreuung“
und
  • „eigentlich bist du ja systemrelevant (zumindest sagt das die Berufsbezeichnung) und deine Kinder müssen in die Betreuung, weil du in der Dienststelle „gebraucht“ wirst“

Gleichzeitig das schlechte Gewissen, ob die Kinder eventuell sozial vereinsamen, wenn sie eben nicht mit ihren Freunden zusammenkommen und vor allem die Herausforderung Erzieher, Lehrer, Koch, Haushälter, 40- bzw. 28-Stunden-Arbeiter/in und rund-um-die-Uhr-Bespaßer zu sein.

Versteht mich nicht falsch, ich liebe meine Kinder über alles. Aber während einer Videokonferenz Playmobilautos zu reparieren und gleichzeitig noch zu erklären wie man unregelmäßige Verben vom Präsens ins Präteritum setzt und vor allem WARUM man das macht – da bin ich raus!

Sowieso habe ich bereits das Gefühl, dass meine Kolleginnen und Kollegen denken, ich sei am Tourette-Syndrom erkrankt:

„Guten Morgen zusammen, schön, dass wir uns zum Thema XY austauschen können, PASS AUF WENN DU DIE TREPPE RUNTERGEHST, sorry ich bin im Homeoffice und hab die Kinder, also wo waren wir, achja, Thema XY, nein ich kann grad nicht, Papa telefoniert, da bin ich der Auffassung, dass wir dringend noch Gespräche mit, HALT DICH FEST WENN DU DIE TREPPE RUNTERGEHST, führen sollten und ihm, schreibst du bitte ordentlich?! Nochmal unsere Position, spitz bitte deinen Bleistift an, näher bringen sollten, schließlich geht es hierbei um die Sicherheit, ES GIBT NUR EIN ROTES AUTO, NIMM DOCH BITTE DAS ANDERE, der Kolleginnen und Kollegen geht. Ja, das hast du richtig geschrieben, aber was ist Apfel für ein Wort? Genau, ein Nomen, also schreibst du es wie? Also wiegesagt, wir müssen da Gespräche führen, oder wie seht ihr das? GIBST DU JETZT BITTE SOFORT DAS ROTE AUTO ZURÜCK!“

Und bei all dem vorgenannten haben wir noch das „Glück“ die Kinder zur Not in den Garten und unseren großen Sohn zumindest jeden zweiten Tag zur Schule zu schicken (wir haben uns bewusst gegen die Aussetzung der Präsenz in der Schule entschieden). Ich will mir gar nicht vorstellen wie es wäre, wenn das nicht ginge.

Und Sonderurlaub für die Kinder nehmen? Schwierig, weil wir ja eigentlich ein Anrecht auf Notbetreuung haben. Wobei wir das eigentlich ja nicht haben, weil unsere Anwesenheit „im Betrieb“ (zumindest aus unserer Sicht) nicht zwingend erforderlich ist.

Bei all den Schwierigkeiten ist und bleibt die größte Schwierigkeit, dass nichts, aber auch garnichts konkret geregelt ist und am liebsten alle Last und alle Verantwortung auf uns Eltern abgeladen wird. Am Ende heißt es wahrscheinlich noch

  • Aus Arbeitgebersicht: „Was beschwert ihr euch denn, ihr dürft doch zu Hause arbeiten!“
  • Aus Kindergartensicht: „Ihr glücklichen könnt doch die Kinder zu Hause betreuen, weil ihr
Homeoffice machen dürft!“
  • Aus Schulsicht: „Warum schickt ihr euren großen Sohn zur Schule, wenn ihr doch zu
Hause seid?“

Aus meiner Sicht fühlt es sich so an, als könnte man es in diesen Zeiten nicht richtig, nicht falsch, es niemandem recht, aber auch niemandem unrecht machen. Aber in jedem Fall ist das Verständnis für Eltern, das Verständnis für Homeoffice im allgemeinen, das Verständnis für diejenigen, die sich in Pandemiezeiten Kontakten entziehen möchten, in der Polizei Niedersachsen noch nicht angekommen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Pandemie immerhin ein Gutes hat: Dass spätestens am Ende des Jahres 2021 eine Veränderung stattgefunden hat, die es Familien besser ermöglicht, ihre Herausforderungen in Einklang mit der Arbeit im Polizeidienst zu bringen.
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