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Die Polizei im Wandel der Zeit: Ein Hauptpersonalratsvorsitzender blickt zurück

Von EPHK Karsten Bech, Wiesbaden*

Die Fachzeitschrift „Die Kriminalpolizei“ besteht 40 Jahre, Grund genug für einen Rückblick auch aus Sicht eines Hauptpersonalratsvorsitzenden. Den Hauptpersonalrat (HPR) der hessischen Polizei und mich als Vorsitzender begleiten nämlich immer wieder Veränderungen, die natürlich auch erforderlich sind, um unsere Polizei in allen Belangen auf dem neusten Stand zu halten. Nachfolgend skizziere ich für die Jubiläumsausgabe der Zeitschrift ausgewählte Themenbereiche der zurückliegenden Jahre.


1 Digitalisierung, Kommunikation und neueste Technik

Aktuell und in aller Munde ist die Digitalisierung und Anpassung der IT-Technologien. Man hat erkannt, dass in den vergangenen Jahren einiges nur schleppend voranging und mehr Zielorientierung von Nöten gewesen wäre. Jedoch sind Veränderungen in diesem Bereich nicht so einfach, da langwierige Prozesse vorgeschaltet und keine Entscheidungen über Nacht möglich sind. Ausschreibungsverfahren, Testläufe und die Auswahl der richtigen Soft- und Hardware bedürfen einer sensiblen Entscheidung. Wie vielseitig diese Technikwelt ist, zeigen nachfolgende Beispiele:

„HessenData“ der Fa. Palantir, eine Software, um Datenbestände miteinander abzugleichen und zusätzliche Erkenntnisse für die Ermittlungen zu gewinnen. Der Einsatz dieser Software ist jedoch vom BVerfG auf den Prüfstand gestellt worden. Sicher stellt sie eine Hilfe für die polizeiliche Arbeit dar. Da das Allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen ist, muss jedoch auch der Grundrechtsschutz Berücksichtigung finden.

Als weiteres Beispiel ist die kürzlich eingeführte „Foto-App“ auf unseren dienstlichen Mobiltelefonen zu nennen. Dienstliche Handys sind heute nicht mehr wegzudenken und gehören in den Polizeialltag, so wie sie bereits nahezu von jedem von uns im privaten Leben genutzt werden. Seit Jahren nutzt man dort auch die Fotofunktion und versendet Bilder, ohne dass man sich Gedanken über diese technische Möglichkeit macht. Die dienstliche „Foto-App“ hingegen musste erst rechtliche und technische Hürden nehmen, um für unsere Polizeizwecke genutzt werden zu können. Aber auch hier geht es voran. Programme für die polizeiliche Arbeit werden ständig entwickelt, aktualisiert und verbessert. An dieser Stelle möchte ich ein ausdrückliches Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen aussprechen, die in diesem Bereich mit viel Engagement für unsere moderne Polizei arbeiten.

Ein schwieriges Thema stellt die dienstliche Kommunikation dar. WhatsApp kennt wohl jeder aus dem privaten Bereich. Man kann damit schnell Informationen, Texte, Bilder, Videos und vieles mehr übermitteln. Aufgrund verschiedenster Vorfälle darf WhatsApp allerdings für dienstliche Zwecke nicht genutzt werden. Das dienstliche Pendant dazu heißt nun „Julius“ und ist in den vergangenen Monaten ausgebaut worden, um den dienstlichen Ansprüchen zu genügen. Momentan steigt die Akzeptanz für den kleinen Bruder von WhatsApp – nicht zuletzt wegen der guten Arbeit, die bspw. einsatzbegleitend in Frankfurt am Main bei der Räumung im Fechenheimer Wald durch die Kolleginnen und Kollegen geleistet wurde. Informationen konnten auf diesem Wege erfolgreich an die Einsatzkräfte in Bild und Text transportiert werden.

Neueste Technik ist eine Selbstverständlichkeit für eine professionelle Schutz- und Kriminalpolizei. Fotografien von Unfall- oder Tatorten werden heute mit hochtechnisierten Polizei-Drohnen erstellt. Vor 40 Jahren unvorstellbar. Es wird damit deutlich, dass vieles mit großem Engagement in unseren Reihen getan wird. Dies ist auch dringend geboten, um weiterhin auf dem schnell fahrenden Zug der Digitalisierung und technischen Entwicklung mitfahren zu können. Im Projekt „Schub 11“ („Anschub“ für wichtige Themenbereiche im Rahmen der Digitalisierung und „11“ für die Anzahl der Präsidien) wurden wichtige Digitalisierungsthemen priorisiert. Sie werden nun nach und nach in den Präsidien unter einer Themenverantwortlichkeit eingebunden. Dadurch sollen Synergien in der hessischen Polizei erreicht werden.

2 Arbeitszeiterfassung

Ein weiterer erwähnenswerter Punkt ist die Erfassung der Arbeitszeit. Wurden früher in den Geschäftszimmern Stundenzettel geführt und hat im Wechselschichtdienst der Wachhabende die Zeiterfassung mit der Streifeneinteilung und der Stärkefeststellung im Wachbuch erledigt, gibt es heute das „Integrierte Zeitmanagement“ (IZEMA). Seit seiner Einführung im Jahr 2005 musste die Software permanent angepasst werden. Unzählige Ausführungsbestimmungen und interne Dienstvereinbarungen haben Personalräte und Behördenleitungen beschäftigt. Nicht nur die unterschiedlichsten Dienstgestaltungen, Verträge, Schichtdienstmodelle und Einsätze sind und waren Herausforderungen, nein, auch politische Entscheidungen wie das „Lebensarbeitszeitkonto“ (LAK) mit seinen Besonderheiten machen das Zeitmanagement nicht einfacher. Bei Einführung des LAK ging es ursprünglich um die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit von 42 auf 41 Stunden und am Ende des Berufslebens um die Inanspruchnahme angesparter Zeiten, um so früher aus dem Dienst ausscheiden zu können. Gut, dass im Laufe der Zeit diese Anwendbarkeit erweitert wurde und auf Antrag auch schon früher Stunden abgegolten werden können. Sonst wäre so manche Dienststelle beim Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge unterbesetzt. Auch hier gehört nun eine nachvollziehbare, besser planbare und sozialverträgliche Regelung der Wochenarbeitszeit her. Nur eines darf niemals vergessen werden: Die Software (IZEMA – SP Expert) muss den gültigen Arbeitszeitregelungen angepasst werden und nicht umgekehrt. Zurzeit werden die Dienste „Flexfrei“ und Zusatzurlaub neu konfiguriert bzw. programmiert. Da dies oft schwer verständlich und in der Software schwer abbildbar ist, gibt es sicher noch zusätzliche EXEL-Tabellen auf den Dienststellen, die sich im Graubereich der datenschutzrechtlichen Zeiterfassung befinden. Dies sollte eigentlich nicht sein, denn dafür wurde IZEMA eingeführt. Also handelt es sich auch hier um ein Feld, welches immer wieder neu bestellt werden muss.

3 Gewalt gegen Polizeibeschäftigte

Neben der Technik und der Ausstattung spielt naturgemäß das Umfeld des Polizeidienstes eine entscheidende Rolle. Erschreckend sind die zahlreichen Angriffe auf Polizeibeschäftigte. Immer häufiger ist zu lesen, dass Kolleginnen und Kollegen bei der Ausübung ihres Dienstes verletzt worden sind. Die jüngsten Bilder aus der Silvesternacht haben wir alle noch vor Augen. Erschreckend sind aber nicht nur die Angriffe gegen Polizei und Rettungskräfte selbst, sondern auch der gesunkene Respekt gegenüber Menschen, die helfen, retten und bergen wollen. Früher stand der Polizist dem Bürger als „Freund und Helfer“ gegenüber. Heute sind die Kolleginnen und Kollegen oft auf Körperschutzvollausstattungen angewiesen. Auch dies ist ein Wandel der Zeit – aber kein schöner. Waren es früher noch Kirmesschlägereien, die zu bewältigen waren, sind heute immer häufiger Messer und andere gefährliche Gegenstände im Spiel. Es wird zum Teil auf dem Boden liegende Personen eingetreten, bis keine Regung mehr wahrnehmbar ist. Neue Strafrechtsnormen sind nur ein Teilansatz, um dieses erschreckende Phänomen zu stoppen. Hier müssen wir der Justiz vertrauen, die zeitnah urteilen und den möglichen Strafrahmen ausnutzen sollte. Es muss klar sein: Wer Einsatzkräfte attackiert, hat empfindliche Strafen zu erwarten.

4 Angemessene Alimentation

Auch die finanziellen Rahmenbedingungen führen immer wieder zur Unzufriedenheit und zu Problemen. So hat der VGH Kassel bereits im November 2021 festgestellt, dass die Besoldung in den Jahren 2013 bis 2016 verfassungswidrig zu niedrig war und den Vorgang dem BVerfG vorgelegt. Der im Februar 2023 eingebrachte Gesetzentwurf zur Anpassung der Besoldung und Versorgung wird dabei die verfassungswidrige Besoldung nicht ausgleichen. Er bedarf der Nachbesserung, um eine gerechte Bezahlung zu erreichen.

Vergleichbares gilt für den Tarifbereich. Sind Tarifbeschäftigte im Polizeidienst eigentlich noch zeitgemäß und vor allem angemessen eingruppiert? Denn auch hier ist der Wandel der Zeit feststellbar. Längst nehmen Tarifbeschäftigte nicht mehr nur einfache Tätigkeiten wahr. Aufgaben haben sich im Laufe der Jahre verändert, doch oftmals sind die Arbeitsplatzbeschreibungen beibehalten und die anspruchsvolleren Leistungen nicht angemessen honoriert worden. Deshalb kann ich nur empfehlen, die Arbeitsplatzbeschreibungen regelmäßig zu aktualisieren.

Um beim Thema Geld zu bleiben: Gut gemeint war sicher die Hessische Leistungsanreize-Verordnung, die es den Behörden ermöglicht, einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Mitarbeiterteams für überdurchschnittliche Leistungen zu belohnen. Neben einer Dienstbefreiung können auch Geldzuwendungen zugesprochen werden. Da diese Möglichkeit jedoch begrenzt ist, kommen leider nur sehr wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Genuss dieser wertschätzenden Maßnahme. Ich bin der Überzeugung, dass zu jedem Termin noch mehr gute und fleißige Beschäftigte bedacht werden könnten, leider sind aber die Mittel endlich. Die Auserwählten freut es, die Nichtbedachten dürften indes enttäuscht sein.

5 Beurteilungen

Eingruppierungen und Beförderungen haben etwas mit dem Leistungsprinzip zu tun und fußen oft auf einem Arbeitszeugnis oder einer Beurteilung. Aber genau diese werden von Menschen über Menschen erstellt und wer fühlt sich schon immer gerecht beurteilt? Wer reflektiert seine eigene Leistung richtig? Waren Vorgesetzte bei der Erstellung objektiv oder haben sie sich beeinflussen lassen? Oder wurden gar Beurteilungsfehler begangen? Leider sind mir in meiner langjährigen Tätigkeit als Personalratsvorsitzender alle dieser Varianten begegnet. Einige konnten durch eine offene und faire Aussprache gelöst, andere mussten hingegen verwaltungsgerichtlich geklärt werden. Damit verbunden ist auch die Problematik, gerechte und nachvollziehbare Beurteilungsrichtlinien zu erstellen. Dies war der Grund, warum es in Hessen zu keinen landeseinheitlichen Normen gekommen ist, die sowohl vom Hauptpersonalrat der Polizei als auch vom Landespolizeipräsidium getragen werden konnten. Zu verschieden waren die Vorstellungen. Hauptgründe waren die unterschiedlichen Strukturen und Größen der Behörden, die Bildung von Vergleichsgruppen, prozentuale Festlegungen in den Notenstufen und der Beurteilungszeitraum. Eine Anmerkung sei mir dazu erlaubt: Niemand hat es verdient schlecht beurteilt zu werden, nur weil es mathematisch vorgegeben ist oder das System zu einem Ergebnis kommt. Auch wenn es die letzte Beurteilung vor dem Ruhestand ist, keine Beförderung mehr im Raum steht und nicht mehr Geld verdient werden kann: Die Beurteilung muss das tatsächliche Leistungsbild wiedergeben. Nur das ist gerecht und wertschätzend.

6 Flexibilisierte Arbeitszeit und mobiles Arbeiten

In den letzten Jahren haben sich viele Dinge positiv entwickelt. So gibt es in Hessen fast alle Schicht- und Wechselschichtdienstmodelle und die sog. flexibilisierte Arbeitszeit im Tagesdienst. Natürlich müssen Mindestwachstärken gehalten und Servicezeiten berücksichtigt werden, bis heute ist es aber immer noch möglich, im Rahmen der Experimentierklausel über veränderte Arbeits- bzw. Schichtdienstzeiten abzustimmen und diese nach durchgeführter Probezeit einzuführen. Sicher ist unter den Bedingungen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht jeder Einzelfall optimal zu lösen, jedoch bestehen vielfältige Möglichkeiten, einen akzeptablen Kompromiss zu finden. Trotz aller Probleme hat die zurückliegende Corona-Pandemie zudem eines gezeigt: Das mobile Arbeiten ist unter bestimmten Bedingungen auch im Polizeidienst möglich. Ein Meilenstein im Wandel der Polizei in den letzten Jahren. Deshalb entstehen zurzeit auch Dienstvereinbarungen zwischen den Behörden und den örtlichen Personalräten zur Regelung dieser Arbeitsform, ohne damit bereits bestehende Regelungen auszuhebeln. Es gilt Möglichkeiten abzustimmen, an die vor der Pandemie nie zu denken war. Ein richtiger Weg zu einer modernen Polizei.

7 Ergebnisse der Expertenkommission

Nun ist es schon viele Monate her, dass sich eine Expertenkommission mit der hessischen Polizei, ihrer Struktur, Problemen, Fehlern, deren Ursachen und daraus resultierenden Veränderungserfordernissen beschäftigt hat. Weit über hundert Themen wurden als Empfehlungen an die dafür eingerichtete Stabsstelle „Fehler- und Führungskultur“ weitergegeben. In vielen Projekten nahmen sich zahlreiche Beschäftigte diesen Empfehlungen an und versuchten Lösungsansätze zu entwickeln. Dabei dürfte es jedem klar sein, dass positive Entwicklungen innerhalb der Polizei nicht über Nacht erreicht werden können. Deshalb war und ist es nach wie vor schwierig, aus theoretischen Empfehlungen auch handhabbare Prozesse für den Dienstalltag abzuleiten.

Bei der Einführung neuer Maßnahmen, Ideen und Verfahrensweisen sind wir mit dem Hauptpersonalrat in der Beteiligung. Um aber am Ende auch für die hessische Polizei, jedes Präsidium und alle Beschäftigten ein befriedigendes Ergebnis zu erreichen, ist es noch ein langer Weg. Hier sollte der Grundsatz „Qualität vor Geschwindigkeit“ gelten. Zu einigen Maßnahmen sind bereits Pilotdienststellen (z.B. Führungskräfteauswahl) bestimmt worden und man versucht die Theorie sinnvoll in den Dienst zu integrieren. Viele Denkansätze sind sehr gut, müssen sich jedoch in der Praxis noch bewähren. Deshalb stehen die örtlichen Personalräte und der Hauptpersonalrat auch im ständigen Austausch und evaluieren gemeinsam mit den Behörden.

Die Übertragung der Prozesse aus der Stabsstelle „Fehler- und Führungskultur“ in die Polizeipräsidien und damit die Allgemeine Aufbauorganisation (AAO) bindet naturgemäß Ressourcen. Das eh schon knapp bemessene Personal muss sich bspw. um die Umsetzung und vor allem die spätere Fortführung der Projekte sowie grundlegende Fragen der Aus- und Fortbildung kümmern. Die zwingende Folge von fehlendem Personal bei zunehmenden Aufgaben ist die Festlegung von Prioritäten. Dass die sich fortentwickelnde Kriminalität im Vordergrund der polizeilichen Arbeit stehen muss, ist unbestritten. Denn die Gefahrenabwehr und die Kriminalitätsbekämpfung gehören zu den Kernaufgaben der Polizei, die nicht vernachlässigt werden dürfen. Gute Ansätze dürfen zudem nicht verpuffen, nur weil sie im Einzelfall halbherzig gelebt oder sogar abgelehnt werden. Dies gilt z.B. für das viel zitierte Leitbild. Also muss die Fehler- und Führungskultur in allen Ebenen auch gelebt werden. Doch getreu dem Motto „Packen wir es gemeinsam an“ bin ich sicher, dass mit der notwendigen Gründlichkeit und ausreichendem Personal die Polizei modernisiert werden kann.

8 Zum Abschluss

Leider zeigen die aktuellen Zahlen, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen nach der Einstellung in die Polizei umorientieren. Teilweise wird das gebotene Leistungsniveau nicht erreicht, teilweise werden die bestehenden Rahmenbedingungen jedoch auch nicht akzeptiert. Dies muss uns nachdenklich machen. Ich würde mich freuen, wenn ich demnächst unserem Nachwuchs wieder aus ganzem Herzen von einem tollen Polizeiberuf mit überzeugenden Rahmenbedingungen erzählen kann, mit dem man sich in jeder Form identifizieren kann. Diese positive Berichterstattung muss wieder unser aller Ziel sein. Dann sehe ich auch dem nächsten Rückblick unter dem Motto „Die Polizei im Wandel der Zeit“ gelassen entgegen.

 Anmerkungen

*Der Autor ist Erster Polizeihauptkommissar und Vorsitzender des Hauptpersonalrates der hessischen Polizei.

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