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"Wir dürfen uns nicht zurückziehen"

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei über das Scheitern der Integration, Problemviertel – und Migranten, die Beamte werden Mit dem Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, sprach Henning Noske. Sie sprechen von einer verfehlten Integrationspolitik auf dem Rücken der Polizei. Wie haben Sie das genau gemeint? Das geht schon seit vielen Jahren, das ist nicht von heute auf morgen gekommen. Wir haben klar die Situation, dass polizeiliches Eingreifen bei gewissen ethnischen Gruppen, bei Jugendlichen und in gewissen Vierteln und Straßenzügen immer schwieriger wird. Wir spüren immer häufiger Gegenwehr, immer öfter müssen wir mit mehreren Streifenwagen bei ganz normalen Einsätzen kommen. Und das erschwert uns die Arbeit – und es macht sie vor allem auch immer gefährlicher. Von welchen Brennpunkten sprechen Sie? Das gibt es in allen Großstädten. Natürlich haben wir das in besonderer Ausprägung in manchen Städten wie Berlin, Köln oder Duisburg. Man kann aber gerade bei den angesprochenen Jugendlichen generell feststellen, dass die Bereitschaft sinkt, den Staat anzuerkennen. Da ist eine Ablehnung des Staates zu spüren. Da herrscht leider allzu oft eine Haltung vor: Der Polizist als Symbol des Staates – der kann auch angegriffen werden. Das spüren wir immer häufiger. Und das macht uns ganz große Sorgen! Die Fallzahlen der Übergriffe auf Polizisten und der Gefangenenbefreiungen steigen an. Darüber müssen wir reden. Die Politik muss dieser Entwicklung Einhalt gebieten. Das ist starker Tobak – gerade im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte um die Thesen Sarrazins. Haben Sie keine Angst, Öl ins Feuer zu gießen? Nein, denn das alles ist nicht neu. Das erzählen wir nicht nur jetzt. Darauf haben wir immer schon hingewiesen, dass es Integrations-Defizite gibt. Wir haben natürlich den Fokus immer stärker auf die polizeiliche Arbeit gerichtet, aber das macht uns schon seit langem Sorgen. Wir erleben seit Jahren, dass in diesem Bereich Gewalt gegen Polizisten zunimmt. Und da liegen die Ursachen natürlich in fehlender Integration. Welche Gruppen bereiten Ihnen besondere Sorgen? Das Jugendproblem habe ich angesprochen, frustriert, den Staat ablehnend, das Problem der Ghettobildung ist da. Wir haben türkische Problemgruppen, arabische Gruppierungen, Russlanddeutsche. Das ist natürlich unterschiedlich in den einzelnen Städten und Gemeinden, je nachdem, welche Ethnien dort verstärkt vertreten sind. Liegt das Problem in der Sprache oder in der Religion? Die Sprache ist entscheidend, ohne Sprache keine Integration. Die Religion ist weniger das Problem, sondern die fehlenden Chancen, wenn man nicht integriert ist. Fehlende Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten sind da schon viel gravierender. Da gibt es dann Frust und Zorn und bei manchen Ethnien generell eine Ablehnung des Staates. Dort kennt man keine positive Einstellung zum Staat. Und deswegen lehnt man dann auch hier die Polizei ab – aber so geht es natürlich nicht. Was kann die von ihnen so gescholtene Politik denn nun tun? Erstens dürfen die Integrations-Angebote, die notwendige helfende Hand, nicht nur Lippenbekenntnisse sein. Da muss tatsächlich etwas passieren, nicht nur Reden. Und dann muss selbstverständlich der Zwang da sein, dass diejenigen, die integriert werden wollen und sollen – dass die diese Kurse auch annehmen. Das ist ganz entscheidend. Das hört sich leicht an, aber es ist nicht leicht. Man muss bei den Sozialleistungen auch die Anstrengungsbereitschaft berücksichtigen. Was muss vor Ort in den Revieren passieren? Das ist keine Entwicklung, die man von heute auf morgen wieder per Knopfdruck oder durch irgendeine staatliche Maßnahme beseitigen kann. Das bereitet uns ja die großen Sorgen. Wir sollten aber beginnen, das Problem anzupacken. Ich habe meine Zweifel, ob uns das noch gelingt, weil die Probleme so groß sind und die Möglichkeiten, sie zu reduzieren, so gering. Ich glaube, dass uns derzeit der ernsthafte Wille fehlt, dieses richtig zu vollziehen. Mehr Polizei? Natürlich braucht man gerade in solchen Quartieren mehr Präsenz, damit der Staat sichtbar ist. Wir dürfen uns nicht zurückziehen und erst dann mit Blaulicht kommen, wenn etwas passiert ist. Nein, wir müssen auch so präsent sein. Damit verträgt es sich nicht, wenn der Staat auch noch dazu beiträgt, dass die Polizei dort immer weniger Präsenz zeigen kann. Das ist ein Widerspruch. Wir führen dieses Interview im Rahmen eines außerordentlichen Leserforums – ausgelöst durch die Sarrazin-Thesen. Hat die Diskussion schon etwas erreicht? Die Art und Weise, wie Sarrazin das gemacht hat, halte ich nicht für hilfreich, das muss man kritisieren. Aber wir haben das Thema auf der Tagesordnung, wir dürfen nicht nur Aufgeregtheit und Bestürzung zeigen. Konkretes Handeln ist gefragt. Meine Befürchtung ist die: Wenn die Aufregung wieder vorbei ist, dann legen wir uns alle wieder hin – und dann war es das. Bis zur nächsten Aufregung. Das Thema ist zu ernst, wirklich wahr. Wir müssen jetzt handeln, weil es ja auch viele Jahre dauert, bis es Wirkung zeigt. Wird nicht auch übertrieben? Szenen wie etwa in Frankreich oder in den Niederlanden haben wir in Deutschland nicht. Stimmt, das muss man auch ganz deutlich sagen. Große Probleme wie in den Pariser Vororten haben wir hier gottseidank nicht, noch nicht, sage ich ausdrücklich. Aber wir befinden uns auf dem Weg dorthin. Und deswegen muss man alles versuchen, dass es so weit nicht kommt. Also reden, fördern und fordern, alle Gruppen einbeziehen, so lange es noch geht? Anders geht es nicht. Die Lösung besteht immer in Integration. Ausgrenzung ist immer der verkehrte Weg! Aber Integration ist doch nicht nur etwas Freiwilliges, nicht nur, dass man Geld bekommt. Integration bedeutet auch den Willen dazu. Und manchmal geht es nicht ohne einen gewissen Zwang. Also, Sie sind wohl kein Freund von Multikulti-Integration mit Friede, Freude, Eierkuchen. Ja, man darf Probleme nicht verniedlichen. Man darf sie nicht wegschieben, weil die Konsequenzen, die notwendig sind, nicht gleich von heute auf morgen positive Resultate versprechen. Deswegen verweigert man sich oftmals einer Lösung. Das reicht aber nicht. Die Zustände verschlimmern sich – und wir werden in ein, zwei Jahren genau wieder das Gleiche diskutieren. Allerdings gibt es auch positive Beispiele, die Polizei hat mittlerweile etliche Migranten in ihren Reihen. Ja, stimmt. Aber, ich sage ganz ausdrücklich, dieser Anteil muss deutlich gesteigert werden. Und dem steht entgegen, dass viele Migranten unsere hohen Anforderungen nicht erfüllen, wenn sie sich überhaupt bewerben. Das ist aber im Grunde genommen gar nicht erstaunlich, denn so ein Test bei uns stellt viele Anforderungen mit einem kulturellen Hintergrund. Deshalb fordern wir: Der Staat muss diese jungen Leute endlich ertüchtigen, beschulen, dass sie es schaffen, den Test und die Ausbildung. Wir wollen sie und brauchen sie! Wir müssen ihnen helfen, dass sie die Anforderungen bestehen. Mehr Migranten in der Polizei – das ist ein wichtiger Akt der Integration und ein wichtiges Zeichen in die Gesellschaft hinein.
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